Es sei einseitig, die »Abhängigkeit der Integration von Deutschkenntnissen zu betonen, die Abhängigkeit des Deutscherwerbs von Integrationserfahrungen aber zu verschweigen«. MigrantInnen sollen deutsch lernen, im Prinzip richtig, findet Caglar. Aber gesellschaftliche Barrieren werden nicht angerührt, die Wohn- Beschäftigungs- und Bildungssituation von MigrantInnen bleibe unverändert schlecht. Die Beseitigung der Hindernisse sorge aber eigentlich erst dafür, dass MigrantInnen auch Interesse bekommen, die deutsche Sprache zu erlernen.
Im Gegenteil sei die Beziehung der MigrantInnen zur deutschen Sprache von zahlreichen Brüchen traktiert, die von rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung herrührten. »Das Erlernen der deutschen Sprache muss mit der Fülle ihrer sozialen Funktionen und ihrer konkreten Einbettung in das soziale Handeln zusammengedacht werden«, fordert Caglar.
Über lange Jahrzehnte sei der »Gastarbeiter« als sprachlose menschliche Maschine betrachtet worden. Diese menschliche Maschine sollte die deutsche Sprache gar nicht erlernen, um nicht ungewollt Wurzeln zu schlagen. Wenn MigrantInnen heute Sprachprobleme hätten, so sei dies nicht nur ihr eigenes Verschulden, sondern die Folge einer Politik, die es aus ideologischen und Kostengründen versäumt habe, die Werkzeuge als lebendige Menschen mit Sprachfähigkeit anzunehmen und umfassende Integrationsangebote bereitzustellen.
In der aktuellen Wirklichkeit lebten die MigrantInnen in einem Sprachenmix, aus dem wiederum neue Sprachen entstünden. Die gelehrte, starre deutsche Sprache, aber werde zum Sakrileg, in ihrem Stellenwert übersteige sie sogar den Wert des Menschen, an den sie herangetragen werde, empört sich Caglar.
Dem Argument, mit besseren Deutschkenntnissen stünde den MigrantInnen der Arbeitsmarkt offen, kann Caglar nicht viel abgewinnen: »Sonst wäre die Arbeitslosigkeit unter Akademikern mit ausländischem Pass kaum erklärbar«. Das Erlernen der deutschen Sprache sorge zunächst für bessere Integration im Sinn geordneter Verhältnisse, sie ermöglicht die reibungslosere Teilnahme an Kommunikation, zum Beispiel dem Gang zu Behörden. Individuell sei die Erfahrung aber ambivalent: sowohl integrativ-entlastend als auch integrativ-fördernd.
Mit Migration gehe ein Prozess des Sprachverlusts einher, sagt Caglar. Die Muttersprachen seien einem zunehmenden Funktionsverlust ausgesetzt. Muttersprachlicher Unterricht an Schulen ist eher eine Ausnahme denn die Regel. Viele MigrantInnenkinder sprechen nicht nur schlecht deutsch, sondern auch ihre Muttersprache miserabel. Dabei wäre eine gut beherrschte Muttersprache die Voraussetzung für das Erlernen der Zweitsprache. Dieser Verarmungsprozess hänge eng zusammen mit einer Verrohung kognitiver und emotionaler Welten.
Die geplanten Sprachkurse nach dem neuen Zuwanderungsgesetz würden auch ganz praktisch Probleme bringen, meint Caglar. So sei das Erlernen einer Sprache mit 26 TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen Herkunftsländern schwierig, 600 Stunden zudem nicht ausreichend. Des Weiteren müssten die MigrantInnen sich an den Kosten beteiligen, momentan plant der Bund 2,05 Euro pro Unterrichtsstunde, davon sollen die Teilnehmer einen Euro entrichten. Eine Menge Geld für diejenigen, die nicht viel haben. Caglar kritisiert auch, dass Spätaussiedler von dieser Regelung ausgenommen sind, sie müssen keine Teilnahmegebühren bezahlen. Eine Ungleichbehandlung, findet Caglar.
Caglar empfiehlt, dass bevor weitere deutsche Sprachoffensiven gestartet werden, erst einmal die bisherigen Erfahrungen ausgewertet werden. Bisher fehle jegliche Evaluation. Er fordert für die Zukunft eine Einwanderungs-Gesellschaft, die wirklich offen ist: Dabei würde nicht eine deutsche Einheitssprache herauskommen, sondern eine Sprachenvielfalt, Entwicklung der deutschen Sprache inklusive.