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Intergration durch deutsche Sprache? (10.11.2004)





»Die Sprache entsteht, wie das Bewusstsein, erst aus dem Bedürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen«, zitiert Gazi Caglar Karl Marx






Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz werden Sprachkurse für MigrantInnen Pflicht. Gazi Caglar, Professor der FH Hildesheim, hält Integration zwar für wichtig, die Kurse jedoch für unsinnig. Es fehlten unter anderem die soziale und rechtliche Gleichstellung, die das Lernen der deutschen Sprache erst attraktiv machen würden

Von Manfred Horn

Lange Zeit war es heiß umkämpft, im Sommer 2004 kam schließlich die Einigung zwischen den Parteien des Bundestags: Am 1. Januar tritt das erste Zuwanderungsgesetz der Bundesrepublik in Kraft. Dabei ist von liberalen und fortschrittlichen Überlegungen am Ende nicht mehr viel geblieben. Im Vordergrund steht der Zuzug qualifizierter Facharbeitskräfte und territoriale Sicherheitsaspekte.

»Diese Sprachkurse sind weder pädagogisch sinnvoll noch erreichen sie das Ziel einer deutschen Sprachkompetenz«, erklärte Gazi Caglar, Sozialwissenschaftler und Professor an der Fakultät für Sozialarbeit der FH Hildesheim, in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ). Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz werden zum 1. Januar Sprachkurse für MigrantInnen verbindlich. Damit will die Bundesregierung die Integration fördern. Fortan dürfen die MigrantInnen, die kein Deutsch können, als nicht integriert gelten.

Das neue Zuwanderungsgesetz verordnet 600 Stunden Deutschkurs und einen 30-stündigen sogenannten Orientierungskurs. Im Orientierungskurs geht es um die Vermittlung der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands. Grundsätzlich positiv sei es, dass der Staat Integration als staatliche Aufgabe betrachte, befindet Caglar. Aber die Kurse gingen in die falsche Richtung. Zum einen seien die Zielstellungen fraglich, zum anderen die Methoden. Am Ende soll nach Vorstellungen des Staates nämlich ein positives Verhältnis zum deutschen Staat stehen. Wer neu zugewandert ist und sich verweigert, dem droht die Ausweisung. Wer schon länger hier lebt, kann über die Kürzung von Leistungen, zum Beispiel beim ebenfalls am 1. Januar 2005 eingeführten Arbeitslosengeld II. »Überspitzt gesagt ein Rückfall in die Nazi-Zeit«, meint Caglar. Denn dann müsste ungefähr ein Drittel der ›deutschen‹ Bevölkerung, dem er ebenfalls kein positives Verhältnis zum deutschen Staat unterstellt, ebenfalls ausgewiesen werden.

Deutsch sein und deutsch sprechen werden damit wieder zu wichtigen Parametern in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Im Zentrum der öffentlichen Debatten stünde immer nur die deutsche Sprache, bemängelt Caglar. Dies ignoriere die Bedeutung der anderen Sprachen, die die MigrantInnen in Deutschland sprechen. Alle Integrationsbemühungen bis in die Gegenwart seien einem Diktat der deutschen Homogenisierung unterworfen, die sprachliche und kulturelle Vielfalt als zu bändigende Gefahr sehe.