Von Manfred HornDeutschstämmige Aussiedler sind Gegenstand politischer Instrumentalisierungen von rechts und links. Mit ihnen wurde und wird Politik gemacht. Fatal, weil es die Aussiedler als ganz reale Subjekte sind, die die poltischen Parolen ausbaden müssen. Nun haben Studien, unter anderem des an der Bielefelder Universität beheimateten Instituts zur Gewaltforschung unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer belegt: Das ist alles Käse. Im Kern weichen junge Spätaussiedler in ihrem Verhalten nicht stärker von der gesellschaftlichen Norm nicht stärker ab als vergleichbare einheimische Jugendliche. Auch beim Alkohol- und Drogenkonsum zeige sich, dass Aussiedler nicht häufiger und intensiver Alkohol trinken sowie illegale Drogen konsumieren als Deutsche auch. Weitere Ergebnis der Studie: Junge Aussiedler sind nicht gewaltbereiter als ihre deutschen Altersgenossen.
Dies hält aber beispielsweise den Düsseldorfer Landeskriminalamtschef Wolfgang Gatzke nicht davor ab, festzustellen: "Exzessiver Alkoholkonsum, Gewalttätigkeiten, Affinität zu harten Drogen, Beschaffungskriminalität und bewusste Ausgrenzung aus gesellschaftlichen Normen kennzeichnen die Lebenssituation vieler dieser jungen Menschen«.
Letzlich gibt es darüber überhaupt kein gesichertes statistisches Material, da Aussiedler in dem Moment ihrer Einreise zu Deutschen erklärt werden und in Statistiken nicht mehr gesondert geführt werden. Ihre Probleme lassen sich so nur auf einer realen Ebene erfahren. Statistiken und Quantitäten etwa: Wer ist gewaltbereiter? helfen da nicht weiter. Im Gegenteil: Sie sind nur Stoff für eine weitere politische Instrumentalisierung. Damit wird aus dem Subjekt Aussiedler ganz schnell wieder das Objekt der politischen Begierde.
Deswegen geht es auch nicht darum, die existierenden Probleme wegzureden oder zu verschweigen. Eine erklärende Wissenschaft dazu fehlt aber bis heute. So sei an dieser Stelle nur ein einziger Punkt, zugegeben isoliert, herausgegriffen und auf eine Spur gesetzt: Es hält sich der Mythos, Deutsche würden in der ehemaligen Sowjetunion unterdrückt. Dies war sicherlich bis 1991, bis zum Ende der Sowjetunion, der Fall, trifft aber inzwischen generell nicht mehr zu.
Spannender ist da schon der Gedanke, dass viele Aussiedler, wohlgemerkt nicht alle, hier Einfindungsschwierigkeiten haben. Die Opferlegende passt dann eher dazu, dass sie nicht in der Lage sind, ihr Leben individuell zu organisieren. Viele von ihnen, gerade aus ländlichen Gebieten, sind in einem System sozialisiert, dass die eigene Verantwortung klein schreibt. So erwarten sie auch hier Unterstützung und Einweisung, zumal ihnen in Russland Deutschland als goldenes Land beschrieben wurde. Dass sie hier dann doch selber sehen müssen, wie sie zu Rande kommen, ist für viele eine bittere Erfahrung, die auch den Rückzug in die vermeintlich heile Welt der eigenen Familie und Community forciert.
Genau da kommt die Unterdrückungsgeschichte wieder ins Spiel: Zu sagen, ich bin hier ausgegrenzt, in Russland wurde ich auch diskriminiert ist nichts anderes als ein Hilferuf. Er zeigt, dass Deutsch-Sein vom Blute her alleine nicht verbindet. Im Gegenteil: Biographien sind abhängig vom sozio-kulturellen Umfeld. Und das war in der ehemaligen Sowjetunion vollkommen anders. In diesem Sinn wäre es für funktionierende Integrationspolitik sinnig die offensichtlichen Unterschiede anzuerkennen und ernst zu nehmen und nicht bei einer abstrakten Volksgruppenbeschreibung, sondern beim konkreten Menschen anzusetzen.