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Jules Schelvis, Vernichtungslager Sobibor (Teil 2)



Von den aus ganz Europa ankommenden Transporten wurden mehrere hundert Menschen zur Arbeit in den Werkstätten als Schneider, Schuster, Schreiner, etc. gezwungen, insgesamt etwa 1000 Häftlinge, darunter 150 Frauen. 200 bis 300 Häftlinge mussten die Leichen der Ermordeten aus den Gaskammern herausholen und in die Massengräber schaffen. In der kurzen Zeit von Mai 1942 bis zum Oktober 1943 wurden in Sobibor direkt nach ihrer Ankunft ca. 250.000 Menschen ermordet. Der Zeitraum von der Vernichtung bis zur Ermordung dauerte nicht länger als zwei Stunden. Ende des Sommers 1942 wurden die Massengräber geöffnet und die Leichen auf Scheiterhaufen verbrannt, um die Spuren der Vernichtung zu beseitigen.

Der Gedanke an Flucht, Aufstand und Revolte kam unter den Funktionshäftlingen des Lagers immer wieder zur Sprache. Den Häftlingen war klar, dass sie als Zeugen des Mordprozesses in jedem Fall getötet würden. Ein Aufstand wurde von einer kleinen Häftlingsgruppe minutiös geplant und mit der Unterstützung weiterer eingeweihter Häftlinge vorbereitet und schließlich am 14.10. 1943 erfolgreich durchgeführt. Durch Täuschungsmanöver wurde ein großer Teil der SS-ler in Hinterhalte gelockt und von Häftlingen heimlich getötet. Den ca. 650 Arbeits- oder Funktionshäftlingen, davon 50 unerreichbar in der Todeszone, zumeist unbewaffnet und kampfunerfahren, standen neben den 17 SS-lern der Lagerleitung weitere 120 gut bewaffnete und militärisch ausgebildete Bewacher gegenüber. Als der Aufstand offen ausbrach, schlossen sich viele der Gefangenen an, ca. 300 Häftlinge konnten aus Sobibor fliehen. Etwa 50 bis 55 der ehemaligen Häftlinge erlebten das Kriegsende.

Der Häftlingsaufstand in Sobibor ist nach Schelvis wie der Warschauer Ghettoaufstand ein Beispiel für erfolgreichen jüdischen Widerstand: Nach dem Aufstand wurden keine jüdischen Menschen mehr nach Sobibor deportiert, es fanden dort keine Vergasungen mehr statt. Und nur durch den Aufstand konnten über 50 Personen dem sonst sicherem Tod in Sobibor entkommen. Die SS ließ das Gelände einebnen, alle Spuren des Mordens sollten beseitigt werden und richtete dort einen Bauernhof ein. 1944 befreite die sowjetische Armee das ehemalige Lager.

Nur durch die Aussagen der Überlebenden wissen wir über die Ereignisse in Sobibor, die Täter zogen es vor, zu schweigen oder zu leugnen. Einige wurden erst durch Überlebende identifiziert und in der Folge vor Gericht gebracht. Schelvis kritisiert die juristische Verfolgung der Täter als unzureichend. In der BRD mussten sich vom 6. September bis zum 20. Dezember 1966 elf SS-Männer aus Sobibor in Hagen vor Gericht verantworten. Einer der Angeklagten, Heinz Kurt Bolender, beaufsichtigte den Mordprozess bei den Gaskammern in Sobibor. Nach dem Krieg ließ seine Ehefrau ihn für tot erklären, 1961 wurde er unter anderem Namen verhaftet. Kurz vor der Urteilsverkündung beginn er Selbstmord. Kurt Frenzel, den Häftlingen als Sadist und Mörder in Erinnerung, wurde erst 1962 festgenommen. In Hagen wurde er zu lebenslänglich verurteilt, aber schon im Dezember 1976 entlassen. Frenzel saß Anfang der 80er Jahre noch einmal kurz in Haft. Trotz erneuter Verurteilung in der Revision wurde vom Vollzug der Freiheitsstrafe aufgrund seines angeblich schlechten Gesundheitszustandes abgesehen. Fünf weitere Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren, vier wurden freigesprochen. Franz Stangl floh mit Unterstützung des Bischofs Hudal über Syrien nach Brasilen, dort wurde er 1967 festgenommen. 1970 wurde er in der BRD zu lebenslanger Haft verurteilt, er starb 1971 in Haft.

Es ist den Nationalsozialisten nicht gelungen, sämtliche Spuren ihrer Mordtaten zu verwischen, Jules Schelvis Buch entreißt das entsetzliche Geschehen in Sobibor einmal mehr dem Vergessen.(rk)

Jules Schelvis, Vernichtungslager Sobibor, rat/Unrast Verlag, Hamburg/Münster, 2003, 364 Seiten, 20 Euro

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