Webwecker Bielefeld: drogenkonzept04

Kampf ums Konzept (Teil 4)



Aufenthaltsverbote für Auswärtige und die Einrichtung einer mobilen Wache in dem Bereich sorgten nur vorübergehend für Beruhigung. 1988 beschlossen deshalb Stadt und Polizei zusammenzuarbeiten und »ein sozial verträgliches Positivangebot zu schaffen«, wie Haubrock es formulierte. »Sicherheit durch Zusammenarbeit«, beschrieb er das Konzept, das bundesweit Anerkennung fand. Der sogenannte »Punker-Pavillon« an der Elsa-Brändström-Straße entstand. Das Konzept musste aber fortgeschrieben werden, weil im Laufe der Jahre wieder Probleme auftraten. Vor allem die Vermischung der Punk- und der Drogenszene führte zu Konflikten, da sich die beiden Gruppen unversöhnlich gegenüber standen.

1995 entstand deshalb der »Pavi« hinter dem Bahnhof. Das Jugendamt stellte hier durch Sozialarbeiter die Hilfeleistung, die Polizei vertrieb die Drogenabhängigen dahin. Eine Gruppe von Abhängigen erreichte die Einrichtung, so Haubrock, aber nicht: Die jungen drogenabhängigen Frauen, die der Beschaffungsprostituion nachgingen. »Die wurden in der Szene »fette Gänse« genannt und von den männlichen Junkies oft unter Gewaltanwendung ausgenommen«, nannte Haubrock als Grund dafür, dass die Frauen die Einrichtung mieden.

Aber gerade die jungen Frauen brauchten Hilfe besonders dringend: Zum einen zeigte eine Studie des Gesundheitsamtes, dass die Hälfte von ihnen mit Hepatitis und ein großer Teil mit HIV infiziert ist. Zum anderen wurden viele von ihnen Opfer von schweren Sexualstraftaten, zeigten diese jedoch nicht an, da sie Angst hatten selbst verfolgt zu werden. Das änderte sich erst, als 1995 die AIDS-Hilfe Streetworkerinnen an der Naharyastraße einsetzte. Die sollten für Gesundheitsvorsorge werben, Ansprechpartner für die Frauen bei gewalttätigen Freiern sein. Die Leiterin des für Sexualstraftaten zuständigen Kommissariats, Heike Lütgert, machte damals aber auch klar, dass die Arbeit nur erfolgreich sein konnte, wenn die Frauen nicht verdrängt wurden.

Für die Polizeiführung gab es, wie Heinz Haubrock am Dienstag erläuterte, zwei Möglichkeiten: Eine war, die Sperrbezirksverordnung für die Nahryastraße aufzuheben. Das hätte aber auch professionelle Prostituierte angezogen, die erfahrungsgemäß Beschaffungsprostituion verdrängen. Die zweite Möglichkeit an die Frauen heranzukommen um schwere Straftaten aufzuklären, zeigte die Bundestags-Enquetekommission zum Thema AIDS auf: Wenn die Frauen unauffällig sind, gebe es keinen Grund den Sperrbezirk rigide zu vollziehen, empfahl die Kommission. Dieser Linie folgte die Polizeiführung: »Bloßer Aufenthalt sollte kein Grund mehr sein für polizeiliches Einschreiten«, beschrieb Haubrock das Konzept.

Das war mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt, so Haubrock. »Oberstaatsanwalt Schulze hat an dem Entwurf der entsprechenden Verfügung nur geringfügige textliche Änderungen gehabt.« Im Dezember 2000 sah es plötzlich ganz anders aus. Oberstaatsanwalt Kahnert, der bei einer Besprechung Schulze vertrat, erklärte, dass er das Konzept nicht teile, ein Anfangsverdacht sei bereits gegeben, wenn bekannte Frauen angetroffen würden. Aufgrund dieser Aussage zog sich die Polzei sofort aus dem Konzept zurück.

Staatsanwalt Kahnert ist es auch, der die Anklage gegen die Bielefelder Staatsanwaltschaft bei dem aktuellen Prozess vertritt. Dass Heinz Haubrock darin beschuldigt wird, die Konkurrenz der Frauen aus der Naharyastraße vertrieben zu haben, um deren Einkommenschancen zu verbessern, macht ihn »nahezu fertig«. Auch Uwe Gebranzig geht der Prozess an die Nieren: »Er macht mich, ja, fast krank«, sagte er am Dienstag. Aber auch er will kämpfen: »Es geht um meine Ehre, es geht um Gerechtigkeit.«

Am kommenden Donnerstag wird Gebranzig seine Einlassung fortsetzen, danach ist die Vernehmung von Heinz Haubrock geplant. Und dann sollen die ersten Zeugen vernommen werden. Das dürfte spannend werden, denn die sind Staatsanwälte, unter anderem der Leitende Oberstaatsanwalt Schulze.