Richter Fels schätzte die Rechtslage sehr viel enger ein. Unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vertrat er die Meinung, dass ein Tatverdacht bereits dann gegeben sei, wenn eine Person sich an einem Ort aufhalte, »an dem bekanntermaßen Prostitution angeboten oder nachgefragt wird.« Sollte Fels sich mit seiner Auffassung durchsetzen heißt es für Bielefelder Bürger wohl bald: »Augen auf beim Markenkauf!« An der Naharyastraße befindet sich bekanntermaßen die neue Post, der Weg dahin könnte den Prostitutionsverdacht ergeben.
Durch die Befragung von Oberstaatsanwalt Specht kam auch ans Licht, dass es seit 1997 in seiner Behörde »Aversionen« gegen die Polizeiführung gegeben habe. Man sei über diese hergezogen, beschrieb Specht die Stimmung vor allem im Dezernat 36. Dieses ist ausgerechnet für Drogendelikte zuständig. Ein Mitglied dieses Dezernats, Staatsanwalt Mackel, begleitete 1998 einen ihm bekannten Polizeibeamten auf einer Streifenfahrt in der Naharyastraße. Der habe ihn daraufhin ganz aufgeregt aufgesucht, erinnerte sich Specht. Mackel hatte behauptet, dass es eine Anweisung der Polizeiführung gegeben habe, die Beschaffungsprostitution an der Stadthalle nicht zu verfolgen. Da er die Aversionen Mackels gegenüber der Polizeiführung gekannt habe und Mackels emotionales Verhalten nicht dem entsprochen habe, was man von einem Staatsanwalt erwartet, sei er dessen Hinweisen nicht weiter nachgegangen. Außerdem stellte sich bei einer Überprüfung heraus, dass es sehr wohl Strafverfahren wegen Prostitution in der Naharyastraße gegeben habe. »Ich hab dem Braten nicht getraut, den Herr Mackel vortrug«, so das Fazit Spechts.
Keine Spannungen gab es zwischen dem Dezernat 36 und dem Leiter des Drogendezernats bei der Polizei, Manfred Hudalla. Der ließ der Staatsanwaltschaft Ermittlungsakten am Dienstweg vorbei zukommen. Diese und andere Akten aus Ermittlungsverfahren gegen Drogenkonsumenten wurden ab 1999 beim Leiter des Dezernats 36, Oberstaatsanwalt Steffen gesammelt. »Es sollte soviel Material gesammelt werden, dass man entscheiden kann, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird oder nicht.« In den Köpfen der Staatsanwaltschaft schwirrte schon damals ein Ermittlungsverfahren gegen die Leitung der Drogenberatung und die Polizeiführung. Trotzdem gab es im Juli 1997 eine Besprechung des Konzepts für die drogenabhängigen Frauen in der Naharyastraße zwischen Schulze, Specht, Kruse, Haubrock und Gebranzig. Diese seien auf das drohende Ermittlungsverfahren aber nicht angesprochen worden. »Das wäre nicht zielführend gewesen,« so Specht. Der Verteidiger Horts Kruses, RA Wegener, hält dies hingegen für einen Skandal. »Das ist etwas, was mich vom Hocker haut«, empörte sich Wegener. Staatsanwaltschaft und Polizei müssten zusammenarbeiten und wenn die Staatsanwaltschaft Hinweise habe, dass auf dem Gelände in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße gehandelt wurde, hätte man die Polizei informieren müssen.
Ebensowenig informierten die Staatsanwälte die Leitung der Drogenberatung über die »Zustände« in der niedrigschwelligen Kontakt- und Beratungsstelle, damit diese etwas hätten unternehmen können. Vielleicht haben die Herren Staatsanwälte das ja auch vergessen. Genauso wie sich der Leitende Oberstaatsanwalt Schulze vor Gericht nicht mehr an den Antrittsbesuch der von Piet Schuin und Michael Wiese im Jahr 1999 erinnern konnte, als er sein Amt in Bielefeld angetreten hatte. Bei dieser Vergesslichkeit ist es erstaunlich, dass die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Polizei und Drogenberatung kaum Vermerke oder Protokolle zu Besprechungen anfertigte. Symptomatisch für diese leichte Demenz ist eine Aussage von Günther Specht, als ihn ein Anwalt dazu befragte, wie die Aktensammlung im Mai 2000 von Oberstaatsanwalt Steffen an Drogenkommissar Hudalla gekommen sei. »Ich bin mir eigentlich sicher, dass ich nichts wusste«, erklärte der Oberstaatsanwalt.