Webwecker Bielefeld: aschichman03

»Protest gegen das Wiederaufleben des Faschismus« (Teil 3)



Wir hatten einen Meister, dem eine Hand fehlte. Der Mann war besonders grausam. Wir haben viel durch ihn gelitten. Nach einem Vorfall mit ihm haben wir, meine Freundin Eidia und ich und noch zwei Gefangene, uns zur Flucht entschieden. Wir flüchteten in Richtung Front. Bei einem Bauern im Stall haben wir uns versteckt. Der Bauer war nicht da. Es arbeiteten dort ein Mann und ein Mädchen aus Polen. Der Pole hat uns viel geholfen. Er hat uns Eier und Milch gegeben. Wir waren sehr erschöpft und hungrig. Bei diesem Bauern waren wir ungefähr zwei Wochen. Als wir erfuhren, dass die Amerikaner unser Lager befreit haben, sind wir zurück nach Bielefeld gegangen. Aus Bielefeld haben uns Amerikaner mit Lastwagen in das Lager Augustdorf transportiert. Da waren 14.000 von unseren Leuten. Amerikaner haben uns Essen gegeben und auch Proviant. Aus Augustdorf sind wir nach Rostock gefahren, wo uns die Russen abgeholt haben. Weiter sind wir mit dem Zug nach Hause gefahren. Meine Eltern waren außer sich vor Freude. Mutter konnte es nicht fassen, dass ich wieder zu Hause war. Sie hat mich immerzu gefragt: »Töchterchen, bist du das? Bist du wirklich gekommen oder träume ich davon?«

Es ist schon lange her. Ich habe viel Freude und Schwierigkeiten in meinem Eeben erlebt. Ich bin Rentnerin. Mein Leben ist nicht einfach. Bald werde ich 80 (am 13.6.2002). Fast alle sind gestorben, mit denen ich in Deutschland war. Viele sind krank aus Deutschland zurückgekommen. Wir sind nur noch drei, wir vergessen einander nicht, wir treffen uns ab und zu. Mit 54 bin ich Witwe geworden. Ich habe zwei Kinder, vier Enkel und zwei Urenkel. Oft erzähle ich meinen Kindern über meine Erlebnisse und bitte Gott, dass diese Geschichte sich nie wiederholt.

Das Gedicht [siehe unten] habe ich für meine Mama geschrieben. Ich habe damals oft gedichtet, aber ich erinnere mich an die Gedichte nicht mehr.

So sieht es eben bei mir aus. Diesen Brief schreibt meine Nachbarin für mich. Ich freue mich auf ihre Antwort. Ich wünsche ihnen alles Gute, Frieden und Glück im neuen Jahr!

Auf Wiedersehen.
25. 12. 2001






An dem Platz vor dem Bahnhof
versammelten sich zwei bis drei Tausend Menschen,
es ist ein Transport in den Westen.
Man trennte die Kinder und Eltern.

Warten mußten wir nicht lange, vier bis fünf Stunden.
Man befahl uns auseinander zu gehen;
und wir trennten uns, Mama,
wir werden das nie vergessen.

Ich erinnere mich an Deine zitternde Stimme,
an Deinen zärtlichen, traurigen und nachdenklichen Blick,
an Dein glatt nach hinten gekämmtes Haar,
an Deine brauen Augen, die ich liebe.

Man fuhr uns in Güterwaggons,
entlang der weiten russischen Steppe.
Man brachte mich, Mama, weit weg
zu den Henkern in 3.000 km Entfernung.

Dort, wo ich war und noch sein werde,
wie fröhlich ich auch sein möge,
ich werde Dich, Mama, nie vergessen,
unter keinen Umständen, niemals.«