Webwecker Bielefeld: postmeisterprozess02

Antifa heißt gut aufpassen (Teil 2)



Der Grund des Polizeieinsatzes und des Prozesses war, dass während einer der vielen Demonstrationen gegen den »Postmeister« vom Dach eines Gebäudes gegenüber der Gaststätte ein Transparent mit der Aufschrift »Nazitreffpunkte angreifen – Postmeister dichtmachen« hing. Den Angeklagten wird vorgeworfen es aufgehängt zu haben. Martin L. gab in einer Erklärung zu, das Transparent angebracht zu haben. Eine von der Richterin vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen lehnte er ab, da er sich keiner Tat schuldig gemacht habe

In der Erklärung gab er auch Auskunft über seine Beweggründe für die Aktion, die er bereits seit längerer Zeit vorgehabt habe. Bereits als Grundschüler habe er von dem Pogrom von Rostock Lichtenhagen erfahren und sich gefragt: »Warum tut da niemand etwas dagegen, warum stehen die Leute da herum und klatschen«. Schon früh habe er deshalb beschlossen sich aktiv für Demokratie einzusetzen. Weiter beschrieb er, wie er immer mehr die Gefahr wahr genommen habe, die von dem Nazitreff »Postmeister« ausging. »Ein Besucher unserer WG musste sich einmal im Hinterhof verstecken, weil er von Nazis gejagt wurde.« Das Wort »angreifen« habe er nicht wörtlich gemeint, vielmehr sollte das Transparent zu Aktionen gegen den Nazitreff auffordern, wie sie bereits davor stattgefunden hatten.

Dass diese Aktionen der Initiative Courage gegen Rechts friedlich verlaufen waren, führte Werner Robbers zu Gunsten seines Mandanten ins Feld: »Das Angreifen geschah durch eine Postkartenaktion an den Verpächter, ein Hip-Hop-Konzert, ein klassisches Konzert und viele andere gewaltfreie Aktionen. Über viele Monate der Kampagne hinweg gab es keine gewalttätige Aktion«, beschrieb Robbers die Proteste gegen den Postmeister. Auch in den Broschüren und Flugblättern der Initiative Courage gegen Rechts sei nicht zu Gewalt aufgerufen worden. »Wären bei vorhergehenden Demonstrationen gegen die Kneipe Gewalt angewandt und etwa Steine geworfen worden, und einer, der da dabei war, hängt so ein Transparent auf, dann wäre das was anderes«, so Robbers.

Außerdem stelle das Wort »angreifen« keine Aufforderung zur Gewalt dar, führte Robbers aus und dafür das Duden Herkunftswörterbuch und den »Wahrig«, eines der Standardwörterbücher der deutschen Sprache, als Beweis an. Minutenlang verlas er die Bedeutungen, die das inkriminierte Wort haben kann. Danach ist eine von einem Dutzend Bedeutungen »den Kampf beginnen«. Nicht einmal das Bedeutung inkludiere automatisch Gewalt, so Robbers. Das Wort komme zudem von greifen, berühren. Erst seit dem 16. Jahrhundert enthalte es den Aggressionsgehalt, den die Staatsanwaltschaft in dem Wort sieht.

Die sah den Straftatbestand vor allem darin gegeben, dass der Begriff öffentlich verwendet wurde. »Der Angeklagte hat das Transparent nicht in seinem Wohnzimmer aufgehängt, sondern öffentlich und es damit Leuten zugänglich gemacht, die dem durchaus gewaltsam hätten Folge leisten können.« Der Duden, Band 10 Bedeutungswörterbuch, nennt als Beispielsatz für »angreifen« im Sinne von Kritik »jemanden öffentlich angreifen«.

Ebenso umstritten wie das böse Wort war zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Bedeutung der Persönlichkeit des Angeklagten Martin L., der sich selbst als Pazifist bezeichnet. Der Mann, der zu Gewalttaten aufgerufen haben soll, machte seinen Zivildienst in Bethel, eine Ausbildung zum Krankenpfleger, Praktika in Heimen für Autisten und Schlaganfallpatienten. »Diesen Mann hier hin zu setzen und zu sagen, »du hast zur Gewalt aufgerufen«, das geht so nicht«, forderte Robbers energisch Freispruch für Martin L.