»Die USA haben noch nicht gewonnen« (Teil 2)
Verliert die UN nicht an Gesicht, wenn sie sich jetzt doch stärker im Irak engagiert?Das ist eine Befürchtung, die auch ich teile. Ich glaube, der Anschlag gegen das UN-Hauptquartier war eine deutliche Warnung der Teile der Bevölkerung im Irak, die sich gegen die Besatzung sträuben, dass sich die UNO zum Aufräumkommando und Helfershelfer der USA entwickeln. Der UNO muss es gelingen, eine Selbstständigkeit zu behaupten, wie es bei der letzten Resolution vor zwei Wochen noch der Fall war. Dort hat die UNO die Bildung des Regierungsrats nur als Zwischenlösung akzeptiert, aber nichts zur Legitimation der US-Besatzung gesagt. Da war die Trennung zwischen UNO und USA noch sichtbar. Jetzt allerdings gehen die USA offensichtlich dazu über, die UNO weiter einzubinden, aber sie unter die eigene Oberhoheit zu zwingen. Wenn die Staatengemeinschaft darauf eingeht, wäre dies in der Tat ein weiteres Desaster für die UNO.
Innenpolitisch gab es in den vergangenen Tagen auch eine Debatte über einen weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die Debatte scheint entschieden, Verteidigungsminister Peter Struck spricht von einem ›gefährlichen Einsatz für mehrere Jahre‹. Für den Einsatz in Afghanistan gibt es zwei Varianten: Einmal wie bisher unter dem Mandat ISAF oder unter dem Kommando der Mission ›Enduring Freedom‹, die als Anti-Terror-Koalition nach dem 11. September 2001 ins Leben gerufen wurde. Wo liegen die Unterschiede, sind beide durch UN-Resolutionen gestützt?Enduring Freedom ist durch keine UN-Resolution gestützt, nur die ISAF. Das Problematische an ISAF ist, dass sie letztendlich auch vom Oberbefehl der USA abhängig ist. Es ist versäumt worden, ISAF mit einem eigenen unabhängigen Oberkommando auszustatten. Da gab es immer schon eine Vermischung zwischen US-Oberhoheit und UNO-Mandat. Eine prekäre Situation. Dieses sollte zweifelsohne in Kundus und in anderen Bereichen, wo eventuell eine Ausdehnung der ISAF gefordert wird, vermieden werden. Was weder nötig noch zulässig wäre: Wenn sich die Bundeswehr direkt in den Rahmen von Enduring- Freedom-Truppen stellen würde. Denn das wäre eindeutig unter ausschließlichem USA-Befehl und hätte nichts mehr mit der UNO zu tun. Derzeit überlegt die Bundesregierung offensichtlich, das Kontingent entweder unter dem alten UNO-Mandat der ISAF nach Kundus zu senden oder eine neue UNO-Resolution herbeizuführen. Letzteres wäre das völkerrechtlich Korrekte. Ich kenne übrigens eine Reihe Afghanen, die den Aktivitäten der USA in Afghanistan so kritisch gegenüberstehen, dass sie eine Ausdehnung des deutschen Engagements befürworten, um den US-amerikanischen Einfluss etwas eindämmen.
In der Retrospektive – angefangen mit dem Jugoslawien-Krieg bis bin zum Irak-Krieg – muss man da nicht eine immer größer werdende Differenz zwischen Völkerrecht und der Realpolitik feststellen?Die Tendenz geht dahin. Das heißt, die USA unternehmen derzeit alles, um die Fesseln und Regeln des Völkerrechts außer Kraft zu setzen und sich zu verselbständigen. Im Augenblick beobachten wir allerdings auch den Widerstand derjenigen Staaten, die nach wie vor an UNO und Völkerrecht festhalten, also von Frankreich über Russland und Deutschland bis zur Volksrepublik China, und darüber hinaus eigentlich die „schweigende" Mehrheit der Staaten. Momentan verfolgen wir eine sehr harte Auseinandersetzung um die Prinzipien des Völkerrechts. Ich würde da noch nicht resignieren und sagen: Die USA haben hier gewonnen.