Webwecker Bielefeld: zwei02

Behjat Moaali, Manuela Runge, Zerreiße den Schleier der Ohnmacht und Neil Belton, Die Ohrenzeugin. Helen Bamber. Ein Leben gegen die Gewalt (Teil 2)



Neil Belton erzählt den Lebensweg Helen Bambers, der gekennzeichnet ist durch ihren sehr persönlichen, unermüdlichen Einsatz gegen Gewalt, seit ihrem sechzigstem Lebensjahr leitet sie eine Hilfsorganisation für Opfer extremer staatlicher Gewalt, das "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture". Die Stiftung kämpft als Menschenrechtsorganisation auch öffentlich gegen die Folter.

"Der Mitarbeiter Pericio Rodriguez, ein Überlebender aus Argentinien, hat ein feines Gespür dafür, wie gewisse Ideale - wie die Priorität der "nationalen Sicherheit" und ihre Varianten - zur Folterpraxis einladen. Er betonte, dass Folter kein "Syndrom" sei, sondern eine Strategie, und ihn beunruhige der Gedanke, dass "eine Art Fließband entstehen könnt, wobei jemand an einem Ende foltert und wir am anderen kurieren."

Helen Bamber wurde 1925 in Großbritannien geboren, ihre Jugend wurde geprägt durch den Völkermord der Nazis an den europäischen JüdInnen, sie erlebte in London die Luftangriffe der Wehrmacht. 1945 geht sie freiwillig nach Deutschland, konkret nach Bergen Belsen, um mit der Jewish Relief Unit Überlebende der Konzentrationslager zu unterstützen. Auch zurückgekehrt nach Großbritannien unterstützt sie undogmatisch und unorthodox junge Überlebende aus den Todeslagern.

Diese Erfahrungen sind prägend für ihren weiteren Lebensweg. In ihrem zivilem Leben sehnt sie sich nach Normalität, sie heiratet Rudi Bamber, der erleben musste, wie sein Vater in der Pogromnacht 1938 von Nazis ermordet wurde.

Helen Bamber gelingt es immer wieder, tatsächlich "Ohrenzeugin" zu sein, sie erträgt es, Überlebenden von extremer Gewalt zuzuhören, ohne sich im Mitleid zu verlieren, zu vermitteln, dass ein Weiterleben mit dieser Gewalterfahrung möglich ist. In ihrer eigenen Familie gelingt ihr dies allerdings nicht, die Ehe scheitert und auch die beiden Söhne Bambers erklären in der Rückschau, sich vernachlässigt gefühlt zu haben, die Kindheit war "nahezu geheimnistuerisch durch den Holocaust dominiert".

Helen Bamber entscheidet sich immer wieder für konfliktträchtige und anstrengende Aufgaben. Sie engagiert sich u.a. gegen medizinische Versuche an Patientinnen durch skrupellose Ärzte, sie setzt sich dafür ein, dass Kinder in Kliniken weniger Vernachlässigung erfahren. (In den 50er Jahren wurden rigide Hygienestandards höher bewertet als emotionale Unterstützung durch die Angehörigen im Krankheitsfall.) Sie kämpft gegen Übergriffe auf politische Häftlinge, arbeitet bei amnesty international z.B. gegen Menschenrechtsverletzungen in Chile unter Pinochet. Ihr persönliches Motiv. "Ich glaube mit meinem Hintergrund - mit einem solchem Vater und dann der Betreuung von Überlebenden - musstest du einfach Widerstand dagegen (Einf.d.V.: Gewalt) leisten. Wer nach dem Krieg in Belsen war, musste die Mitverantwortung des Zuschauers erkennen, und ich wollte kein Zuschauer sein."

Helen Bambers Lebensweg ist nicht geradlinig und zeichnet sich durch Kontakte zu den unterschiedlichsten Menschen aus. Neil Belton porträtiert auch diese Persönlichkeiten, denen Helen Bamber persönlich und in ihrer Arbeit, was nicht eindeutig zu trennen ist, begegnet ist, eindeutig eine Bereicherung der Biographie Helen Bambers und gewiss in ihrem Sinne. Gerade in der aktuellen Diskussion um die Ausweitung polizeilicher Maßnahmen (Androhung von Gewalt im Falle des ermordeten Jakob Metzlers) bietet diese lesenswerte Biographie überzeugende Argumente gegen Folter, gegen den Einsatz von Gewalt durch staatliche Institutionen. (rk)

Behjat Moaali, Manuela Runge, Zerreiße den Schleier der Ohnmacht, Krüger Verlag, 2003, 19.90 Euro

Neil Belton, Die Ohrenzeugin. Helen Bamber. Ein Leben gegen die Gewalt, Fischer Tb Verlag, 2003, 12,90 Euro

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