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Hanny Lightfoot-Klein, "Der Beschneidungsskandal"



Titel: Der BeschneidungsskandalVielleicht erinnert die eine oder der andere die Plakatwände mit der Abbildung einer überdimensionierten, rostigen Rasierklinge. Die Textunterschrift lautete ebenso provokativ wie drastisch: "Wer jetzt noch ans Rasieren denkt, der hat noch nie die Schreie eines Mädchens gehört, dem damit die Schamlippen weggekratzt werden." Wohlgemeinte Öffentlichkeitsarbeit gegen Genitalverstümmelung mit zwiespältiger Wirkung: Genitalverstümmlung wird allein mit Afrika in Verbindung gebracht, genitalverstümmelte Frauen und Mädchen werden ausschließlich als Opfer gedacht. "Da wird ein schauerliches Thema schön gruselig unters Volk gebracht," erklärt Dr. Sabine Müller im Vorwort des Titels "Der Beschneidungsskandal", der soeben im Orlanda Verlag erschienen ist. Aber: Genitalverstümmelung findet im Verborgenen auch in den USA und Europa statt. Frauen und Mädchen, die aus Regionen stammen, in denen diese Praxis üblich ist, sind auch hier gefährdet. Traditionen werden nicht hinter Grenzen zurückgelassen. Dieser gewalttätige Eingriff findet dann eher in angesehenen Arztpraxen statt und bietet ein lukratives Zusatzgeschäft, mittlerweile nicht mehr unbedingt folgenlos für die Ausführenden: Die Britische Medizinische Gesellschaft schloss 1993 einen Gynäkologen aus, der Beschneidungen vornahm. Für Schlagzeilen sorgte 1999 ein Urteil in Frankreich: eine Beschneiderin wurde zu 8 Jahren Haft wegen genitaler Verstümmelung von 48 Minderjährigen, die Mutter des Opfers, das die Klage anstrengte, zu 2 Jahren Haft verurteilt.

Hanny Lightfoot-Klein, Psychologin aus den USA (geboren 1927 in Saarbrücken) und seit fast einem Viertel -Jahrhundert Aktivistin gegen Genitalverstümmelung stellt in ihrem Buch grundsätzlich die Wahrnehmung der Eingriffe, die gemeinhin als Genitalverstümmelung gewertet werden, in frage. Bereits die alltäglich Praxis der Dammschnitte bei Geburten oder der Gebärmutterentfernung bei unterschiedlichsten Beschwerden verweise auf den allzu leichtfertigen Umgang mit dem Skalpell gerade in der Frauenheilkunde. Die gesundheitlichen Folgen für die betroffenen Frauen würden nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Die Weltgesundheitsorganisation verurteilt die routinemäßige Durchführung des Dammschnittes aufgrund der möglichen schwerwiegenden Folgen in Einzelfällen, wie z.B. Blutungen, Infektionen, Blasen -und Darmprobleme, Verlust von sexuell erregbarem Gewebe, chronischen Schmerzen, Abneigung gegen Geschlechtsverkehr.
Bezeichnend sei auch der Umgang der westlichen Medizin mit sogenannten Intersex-Kindern, die automatisch operativ einem Geschlecht zugeordnet werden. In den USA finden pro Jahr 1500 - 2000 derartige Eingriffe statt, in der BRD ca. 350. Interessant ist zudem ein Blick auf die plastische Schönheitschirurgie, nach Busen, Gesicht und Oberschenkeln werden mittlerweile sowohl Penisse als auch die Labien operativ einer fiktiven Norm entsprechend "korrigiert". Die langfristigen gesundheitlichen Folgen dieser Eingriffe, die freiwillig und ohne medizinische Indikation durchgeführt werden, sind nicht abzusehen. "Nachdem ich die letzten 20 Jahre meines Lebens der Aufzeichnung der tragischen Konsequenzen weiblicher Genitalverstümmelung an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen in allen Teilen der Welt gewidmet habe, stimmt mich die ganze Sache irgendwie traurig. Es erschreckt mich, mit welcher Nonchalance, diese erwachsenen Frauen beschließen, ihre genitale Unversehrtheit aufzugeben, die nicht nur afrikanischen Mädchen und Jungen, sondern auch intersexuell geborenen Kindern in Europa und den USA genommen wurden, lange bevor sie alt genug waren, um dazu ihre Einwilligung zu geben."