Webwecker Bielefeld: Kein ruhiges Hinterland (28.03.2010)

Kein ruhiges Hinterland (28.03.2010)




Einen Blick in die Geschichte des Widerstands gegen das AKW Grohnde wirft Silvia Bose

Die Bielefelder Studentin Ingrid Herschke war noch nicht einmal bis Grohnde vorgedrungen, berichtete der ›Spiegel‹ 1977. Trotzdem präsentierte ihr die Regierungshauptkasse Hannover eine Rechnung über 12.995,89 Mark – unter anderem für »Beschädigung und Verlust von Polizeimaterial« und »Heilbehandlungskosten«. 15 Frauen und Männer wollte das Land Niedersachsen damals zur Kasse zwingen für eine Demonstration, die als blutige Schlacht in die Annalen der Anti-AKW-Bewegung einging.

40 Bürgerinitiativen hatten zur Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks Grohnde am 19. März 1977 aufgerufen. 20.000 Menschen waren gekommen – nicht nur Linke, sondern auch bürgerliche Kräfte und sogar Mitglieder des rechtsextremen »Weltbund zum Schutz des Lebens«. 

Das Dörfchen an der Weser war im Ausnahmezustand. Die ›Rote Fahne‹ berichtete, dass Schüler zu Hause bleiben durften, weil Polizeieinheiten da einquartiert waren, wo sonst gelernt wurde. Der Journalist Michael Holzach schrieb in der ›Zeit‹ über den Fußballclub TSV Grohnde, der nach einem Auswärtsspiel nicht mehr in sein Dorf kam und wie berittene Polizei Bürger »wie Freiwild« über die Felder jagte. Grohnde wurde, wie auch Brokdorf, zum Kristallisationspunkt sozialer Bewegungen in den 70er und 80er Jahren. Der Protest gegen Atomkraft war lange der bestimmende Konflikte bundesdeutscher Innenpolitik – und trug maßgeblich zur Gründung der ›Grünen‹ bei.

Was aus Ingrid Herschke wurde, ist nicht überliefert. Die Grohnde-Prozesse zogen sich bis 1984 hin. Damals entschied der Bundesgerichtshof: Für Demonstrationsschäden haften jene, die sie nachweislich angerichtet haben – und nicht wer zufällig von der Polizei einkassiert wurde.

Lange war es ruhig um Grohnde. Angesichts drohender Transporte von plutoniumhaltigen Brennelementen aus dem britischen Sellafield ins Weserbergland regt sich jetzt wieder Protest. Im Februar gingen in Hameln rund 600 Menschen auf die Straße. Das soll nicht die letzte Demonstration gewesen sein.

Mehr Infos unter anti-atom.org und contratom.de