Webwecker Bielefeld: Jiri´ Weil: »Sechs Tiger in Basel« (April, 2008)

Jiri´ Weil: »Sechs Tiger in Basel« (April, 2008)



Bekannt ist der tschechische Autor Jiri´ Weil durch den Klassiker »Leben mit dem Stern«, ein Roman über die Judenverfolgung im besetzen Prag. Glücklicherweise sind nun unter dem eigenwilligen Titel »Sechs Tiger in Basel« auch Erzählungen Jiri´ Weils in deutscher Sprache zu lesen.

In der titelgebenden Geschichte trifft der Autor im verregneten, muffigen Basel kurz nach dem 2. Weltkrieg in einer Kneipe auf einen Landsmann, der seine Wut und Ohnmacht mit Alkohol zu betäuben versucht. Er ist Tierpfleger in einem Zirkus, seine Schützlinge sind tschechische Tiger, von ihrem deutschsprachigen Dompteur entführt. Nur mit der Peitsche dressiert dieser sie, da sie auf seine Sprache nicht hören. Ohne tschechische Laute gehen sie ein, verweigern das Fressen. Was bleibt dem Tierfreund anderes übrig, als bei den armen Tieren in der verhassten Fremde zu bleiben, auch  wenn ihn das Heimweh quält? Seine einzige Bedingung: zumindest der deutsche Zirkusbesitzer darf nicht zu den Tigern.

Weils Prosa ist ebenso eindringlich, bewegend und einzigartig wie seine Romane. »Ich habe diese Erzählungen immer zwischen den Zeiten geschrieben, in denen ich an einem Roman arbeitete, so wie ein Konstrukteur sich kleine Modelle von Dampfmaschinen oder Brücken bastelt«. Jiri´ Weil schreibt authentisch, er bezieht sich in seinen Texten auf autobiographisch Erlebtes, in einzigartiger Weise verleiht er dem Durchlebten komplexe vielschichtige Bedeutung, seine mitunter absurd wirkende Texte sind im wahrsten Sinne des Wortes grundsätzlich.

Eindrücklich der Zyklus »Farben«, er ist »den lebenden und toten Freunden aus den Jahren der Erniedrigung und des Kampfes gewidmet«, u.a. auch Milena Jesenská, Journalistin, die 1944 in Ravensbrück umgekommen ist. In den Geschichten blitzt trotz der Schwere des Alltags, der Bedrohung durch Folter, Qual und Tod ein Funken Hoffnung durch, die Würde derer, die trotz allem Menschen bleiben.

Der Klagegesang für 77 297 Opfer ist ein Requiem, das Kaddisch für die grundlos ermordeten Juden und Jüdinnen aus der Tschechei ein literarisches Denkmal, das vielleicht am Umschlagplatz in Prag, in der ehemaligen Synagoge oder einem ähnlichem Ort deutlich zu lesen sein sollte.

Jiri´ Weil schreibt nicht nur über den Holocaust sondern auch über den ersehnten und den real erlebten Sozialismus, z.B. in seiner »Reise nach Alma Ata«, die neue, moderne Industriestadt  an deren Rand wunderbare alte Apfelgärten liegen. Und er schreibt auch über den Frieden, die Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, Thema dieser Erzählungen ist die »einfache Wahrheit«, die es so nicht gibt, denn die Wahrheit ist ebenso vielschichtig, wie die an ihr Interessierten.

Der Internationalist Jiri´ Weil wurde 1900 in der Tschechei geboren und bearbeitete als Journalist und Autor die widersprüchliche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er selbst wurde 1935 von der Komintern nach Mittelasien deportiert, überlebte den Holocaust in diversen Verstecken, nachdem er sich durch einen fingierten Selbstmord der Deportation entziehen konnte. In der kommunistischen Tschechoslowakei durfte er nicht veröffentlichen. 1959 starb Jiri´ Weil in Prag.

Jiri´ Weil, „Sechs Tiger in Basel“, Erzählungen, Libelle Verlag (Ch), 2008, 224 S., 17,90 Euro