Bekannt ist der tschechische Autor Jiri´ Weil durch den
Klassiker »Leben mit dem Stern«, ein Roman über die Judenverfolgung im besetzen
Prag. Glücklicherweise sind nun unter dem eigenwilligen Titel »Sechs Tiger in
Basel« auch Erzählungen Jiri´ Weils in deutscher Sprache zu lesen.
In der titelgebenden
Geschichte trifft der Autor im verregneten, muffigen Basel kurz nach dem 2.
Weltkrieg in einer Kneipe auf einen Landsmann, der seine Wut und Ohnmacht mit
Alkohol zu betäuben versucht. Er ist Tierpfleger in einem Zirkus, seine
Schützlinge sind tschechische Tiger, von ihrem deutschsprachigen Dompteur
entführt. Nur mit der Peitsche dressiert dieser sie, da sie auf seine Sprache
nicht hören. Ohne tschechische Laute gehen sie ein, verweigern das Fressen. Was
bleibt dem Tierfreund anderes übrig, als bei den armen Tieren in der verhassten
Fremde zu bleiben, auch wenn ihn das
Heimweh quält? Seine einzige Bedingung: zumindest der deutsche Zirkusbesitzer
darf nicht zu den Tigern.
Weils Prosa ist ebenso eindringlich, bewegend und
einzigartig wie seine Romane. »Ich habe diese Erzählungen immer zwischen den
Zeiten geschrieben, in denen ich an einem Roman arbeitete, so wie ein
Konstrukteur sich kleine Modelle von Dampfmaschinen oder Brücken bastelt«.
Jiri´ Weil schreibt authentisch, er bezieht sich in seinen Texten auf
autobiographisch Erlebtes, in einzigartiger Weise verleiht er dem Durchlebten
komplexe vielschichtige Bedeutung, seine mitunter absurd wirkende Texte sind im
wahrsten Sinne des Wortes grundsätzlich.
Eindrücklich der Zyklus »Farben«, er ist »den lebenden und
toten Freunden aus den Jahren der Erniedrigung und des Kampfes gewidmet«, u.a.
auch Milena Jesenská, Journalistin, die 1944 in Ravensbrück umgekommen ist. In
den Geschichten blitzt trotz der Schwere des Alltags, der Bedrohung durch
Folter, Qual und Tod ein Funken Hoffnung durch, die Würde derer, die trotz
allem Menschen bleiben.
Der Klagegesang für 77 297 Opfer ist ein Requiem, das
Kaddisch für die grundlos ermordeten Juden und Jüdinnen aus der Tschechei ein
literarisches Denkmal, das vielleicht am Umschlagplatz in Prag, in der
ehemaligen Synagoge oder einem ähnlichem Ort deutlich zu lesen sein sollte.
Jiri´ Weil schreibt nicht nur über den Holocaust sondern
auch über den ersehnten und den real erlebten Sozialismus, z.B. in seiner
»Reise nach Alma Ata«, die neue, moderne Industriestadt an deren Rand wunderbare alte Apfelgärten
liegen. Und er schreibt auch über den Frieden, die Zeit unmittelbar nach dem 2.
Weltkrieg, Thema dieser Erzählungen ist die »einfache Wahrheit«, die es so
nicht gibt, denn die Wahrheit ist ebenso vielschichtig, wie die an ihr
Interessierten.
Der Internationalist Jiri´ Weil wurde 1900 in der Tschechei geboren und
bearbeitete als Journalist und Autor die widersprüchliche Geschichte des 20.
Jahrhunderts. Er selbst wurde 1935 von der Komintern nach Mittelasien
deportiert, überlebte den Holocaust in diversen Verstecken, nachdem er sich
durch einen fingierten Selbstmord der Deportation entziehen konnte. In der
kommunistischen Tschechoslowakei durfte er nicht veröffentlichen. 1959 starb
Jiri´ Weil in Prag.
Jiri´ Weil, Sechs Tiger in Basel, Erzählungen,
Libelle Verlag (Ch), 2008, 224 S., 17,90 Euro