Von Manfred Horn
Ein
bißchen Weihnachten auch für ALG-II-Bezieher: Dies fordern unter anderen der
Vorstand des ver.di Ortsvereins Bielefeld/Gütersloh und die Grünen. Während
ver.di allerdings für alle ALG-II-Bezieher ein Weihnachtsgeld fordert, will die
Bielefelder Ratsfraktion nur Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren beglücken.
Die
Grünen bringen am Donnerstag einen Antrag in die Ratssitzung ein, der ein
einmaliges Weihnachtsgeld für 2006 in Höhe von 36 Euro pro Kind oder
Jugendlichem bis 18 Jahren vorsieht. Voraussetzung ist, das diese in einer
Bedarfsgemeinschaft wohnen, also ihre Eltern Arbeitslosengeld-II oder
Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten. In Bielefeld leben kanpp
11.000 Minderjährige in Bedarfsgemeinschaften. Diejenigen, die ein eigenes
Einkommen erzielen durch Arbeit oder Ausbildung wären von der
Weihnachtsbeihilfe ausgeschlossen.
Über neun Millionen im Sozialbereich gespart
Die
Kosten würden sich auf 400.000 Euro belaufen. Machbar, findet Lisa
Rathsmann-Kronshage, grünes Fraktionsmitglied und Vorsitzende des Sozial- und
Gesundheitsausschusses. Denn die Stadt hat in diesem Jahr reichlich Geld im
Sozialbereich gespart: Über neun Millionen Euro. Alleine 3,6 Millionen Euro
weniger wurde für Unterkunftskosten gebraucht. Die Stadt übernimmt bis zu einer
bestimmten Grenze die Unterkunftskosten für ALG-II-Empfänger, rund ein Viertel
des Geldes dafür schießt der Bund zu. Das Geld habe die Stadt gespart, weil die
durchschnittlichen Unterkunftskosten geringer sind als gedacht, sie liegen bei
nur rund 315 Euro.
Die
Grünen wollen die rund 400.000 Euro aus den Einsparungen nehmen. Da könnte
allerdings Kritik vom Regierungspräsidium in Detmold kommen. Die Stadt
unterliegt bei Sonderausgaben einer Genehmigungspflicht, ist also in einem
Haushaltssicherungskonzept. Bei der Weihnachtsbeihilfe würde es sich um eine
freiwillige Leistung handeln. »In anderen Bereichen macht die Stadt auch
freiwillige Leistungen«, sagt Rathsmann-Kronshage. Die Auszahlung der
Weihnachtshilfe soll noch vor dem 24. Dezember erfolgen. Die Grünen halten dies
für machbar: »Die Daten liegen alle vor«, sagt Rathsmann-Kronshage.
ver.di will Weihnachtsbeihilfe für alle
Der
ver.di Erwerbslosenausschuss unterstützt den Antrag der Grünen, würde es aber
lieber sehen, alle ALG-II- und Sozialgeld-Empfänger würden die Beihilfe
bekommen. Das würde die Stadt dann 1,6 Millionen Euro kosten. Das Geld sei da,
erklärt Kay Schüffelgen vom Bielefelder Erwerbslosenausschuss. Schließlich
debattierte man bei der Ratssitzung am Donnerstag auch über den Sennesee, und
der koste Millionen.
ver.di
fordert von der Bundesregierung eine Erhöhung des Regelsatzes von 345 auf 420
Euro. Die Grünen legen sich da nicht so fest, denken aber in die gleiche
Richtung. »Die Regelsätze müssen auf Bundesebene angepasst werden«, sagt
Rathsmann-Kronshage. Als die alte rot-grüne Bundesregierung das ALG-II festlegte,
sei die Idee gewesen, die vorherigen Einmalzahlungen zu denen auch ein
Weihnachtsgeld gehörte im Regelsatz unterzubringen. Der ist den Grünen jetzt
offenbar auch zu gering, ein solches Gesetz müsse eben von Zeit zu Zeit
angepasst werden, sagt Rathsmann-Kronshage.
Auf
der Tagesordnung bleiben auch die Regelungen zu den Unterkunftskosten. Viele
Initiativen wie die Sozialberatung Widerspruch fordern praktisch seit
Einführung des ALG-II, das eine höhere maximale Kaltmiete angelegt werden
sollte. Mehr als 4,64 Euro akzeptiert die Stadt in der Regel nicht, der
Widerspruch fordert orientiert am Mietspiegel 5,23 Euro. Zudem soll der
Ausnahmekatalog, also die Regelungen, die Menschen ermöglichen, in ihrer
Wohnung weiter zu leben, obwohl sie nach den Kriterien der Stadt zu teuer sind,
erweitert werden. Stand der Dinge ist aber zunächst, dass 2007 alles beim alten
bleibt, auch was die Ausnahmeregelungen betrifft.
Die Initiative des
Erwerbslosenausschusses wird unterstützt von Widerspruch e.V.,
Arbeitslosenzentrum Bielefeld, Bund Soziales Zentrum Deutschland e.V., GAB
Bielefeld, IG Metall Arbeitslosengruppe, Perspektive für Arbeitslose und
Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut. Der ver.di
Erwerbslosenausschuss ruft zum Besuch der Ratssitzung am Donnerstag, 12.
Dezember 2006, auf, um die Debatte zu verfolgen. Die Ratssitzung beginnt um 17
Uhr im Großen Saal des Neuen Rathauses.
Das ALG-II muss dringend verändert werden
Ein Kommentar von Manfred Horn
Weihnachten
ist die Zeit der milden Gaben. Zumindest werden sie von allen Seiten
eingefordert: Die großen Hilfswerke bitten auf Plakatwänden um Spenden, mancher
Verein verschickt in diesen Tagen einen Spendenbrief. 36 Euro für Minderjährige
ist wahrlich nicht viel. Aber in Haushalten, in denen die Kasse knapp ist, ist
es ein willkommenes Bonbon. Eine pragmatische Haltung, lieber ein bißchen als
gar nichts.
Ob
die großen Fraktionen im Rat dem zustimmen werden, ist jedoch mehr als
fraglich. Warum eigentlich? Die Kosten sind mit rund 400.000 Euro überschaubar,
einzig die Zeitenge bis zum Weihnachtsfest dürfte bei der Auszahlung die
Verwaltung gehörig unter Druck setzen.
Perspektivisch
wichtiger als die einmalige Beihilfe wäre aber, dass sich beim ALG-II
grundsätzlich etwas ändert: Dazu gehört eine Erhöhung des Regelsatzes, die von
ver.di und anderen Verbänden geforderten 420 Euro erscheinen da wegweisend.
Auch müssten die Unterkunftskosten großzügiger ausgelegt werden. Hier kann die
Stadt selbst an der Schraube drehen. Die enorme Ersparnis der Stadt von über
drei Millionen zeigt, dass viel Luft nach oben ist.
Jeder Umzug ist einer zu
viel. 2004 und 2005 gab es jeweils rund 1.000 Aufforderungen zu einem
Wohnungswechsel an ALG-II Empfänger, weil die Miete zu hoch sei. Für 2006
rechnet der Sozial- und Gesundheitsausschuss mit 1500 Aufforderungen. Dahinter
verbergen sich Streß und Schicksale: Oft ist es nicht leicht, günstigeren
Wohnraum zu finden, oft muss eine über Jahre vertraut gewordene Umgebung
verlassen werden. Die von Bielefelder Initiativen geforderten 5,23 Euro
Kaltmiete sind also machbar, ohne dass die Stadt in den Ruin getrieben würde.
Im Gegenteil, die Unterkunftskosten würden immer noch um Millionen unter der
ursprünglichen Kalkulation liegen.
Und
schließlich müssten ALG-II und Sozialgeld im Kern darauf reduziert werden, was
sie sein sollten: Transferleistungen innerhalb einer wohlhabenden Gesellschaft.
Eine Idee, die inzwischen bei vielen ziemlich unbeliebt ist, aber eigentlich
zum Kern einer sozialen Gesellschaft gehört. Die Transferleistungen sollten von
Angeboten begleitet werden, wie den Betroffenen wieder eine Perspektive gegeben
werden kann. Das vernachlässigte »Fördern« gehört in den Mittelpunkt, das
»Fordern« sollte auf wenige Situationen reduziert werden, zum Beispiel auf
Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz haben.