Webwecker Bielefeld: Weihnachtsbeihilfe für ALG-II-Bezieher (13.12.2006)

Weihnachtsbeihilfe für ALG-II-Bezieher (13.12.2006)




Von Manfred Horn

Ein bißchen Weihnachten auch für ALG-II-Bezieher: Dies fordern unter anderen der Vorstand des ver.di Ortsvereins Bielefeld/Gütersloh und die Grünen. Während ver.di allerdings für alle ALG-II-Bezieher ein Weihnachtsgeld fordert, will die Bielefelder Ratsfraktion nur Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren beglücken.

Die Grünen bringen am Donnerstag einen Antrag in die Ratssitzung ein, der ein einmaliges Weihnachtsgeld für 2006 in Höhe von 36 Euro pro Kind oder Jugendlichem bis 18 Jahren vorsieht. Voraussetzung ist, das diese in einer Bedarfsgemeinschaft wohnen, also ihre Eltern Arbeitslosengeld-II oder Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten. In Bielefeld leben kanpp 11.000 Minderjährige in Bedarfsgemeinschaften. Diejenigen, die ein eigenes Einkommen erzielen durch Arbeit oder Ausbildung wären von der Weihnachtsbeihilfe ausgeschlossen.


Über neun Millionen im Sozialbereich gespart

Die Kosten würden sich auf 400.000 Euro belaufen. Machbar, findet Lisa Rathsmann-Kronshage, grünes Fraktionsmitglied und Vorsitzende des Sozial- und Gesundheitsausschusses. Denn die Stadt hat in diesem Jahr reichlich Geld im Sozialbereich gespart: Über neun Millionen Euro. Alleine 3,6 Millionen Euro weniger wurde für Unterkunftskosten gebraucht. Die Stadt übernimmt bis zu einer bestimmten Grenze die Unterkunftskosten für ALG-II-Empfänger, rund ein Viertel des Geldes dafür schießt der Bund zu. Das Geld habe die Stadt gespart, weil die durchschnittlichen Unterkunftskosten geringer sind als gedacht, sie liegen bei nur rund 315 Euro.

Die Grünen wollen die rund 400.000 Euro aus den Einsparungen nehmen. Da könnte allerdings Kritik vom Regierungspräsidium in Detmold kommen. Die Stadt unterliegt bei Sonderausgaben einer Genehmigungspflicht, ist also in einem Haushaltssicherungskonzept. Bei der Weihnachtsbeihilfe würde es sich um eine freiwillige Leistung handeln. »In anderen Bereichen macht die Stadt auch freiwillige Leistungen«, sagt Rathsmann-Kronshage. Die Auszahlung der Weihnachtshilfe soll noch vor dem 24. Dezember erfolgen. Die Grünen halten dies für machbar: »Die Daten liegen alle vor«, sagt Rathsmann-Kronshage.

 

ver.di will Weihnachtsbeihilfe für alle

Der ver.di Erwerbslosenausschuss unterstützt den Antrag der Grünen, würde es aber lieber sehen, alle ALG-II- und Sozialgeld-Empfänger würden die Beihilfe bekommen. Das würde die Stadt dann 1,6 Millionen Euro kosten. Das Geld sei da, erklärt Kay Schüffelgen vom Bielefelder Erwerbslosenausschuss. Schließlich debattierte man bei der Ratssitzung am Donnerstag auch über den Sennesee, und der koste Millionen.

ver.di fordert von der Bundesregierung eine Erhöhung des Regelsatzes von 345 auf 420 Euro. Die Grünen legen sich da nicht so fest, denken aber in die gleiche Richtung. »Die Regelsätze müssen auf Bundesebene angepasst werden«, sagt Rathsmann-Kronshage. Als die alte rot-grüne Bundesregierung das ALG-II festlegte, sei die Idee gewesen, die vorherigen Einmalzahlungen – zu denen auch ein Weihnachtsgeld gehörte – im Regelsatz unterzubringen. Der ist den Grünen jetzt offenbar auch zu gering, ein solches Gesetz müsse eben von Zeit zu Zeit angepasst werden, sagt Rathsmann-Kronshage.

Auf der Tagesordnung bleiben auch die Regelungen zu den Unterkunftskosten. Viele Initiativen wie die Sozialberatung Widerspruch fordern praktisch seit Einführung des ALG-II, das eine höhere maximale Kaltmiete angelegt werden sollte. Mehr als 4,64 Euro akzeptiert die Stadt in der Regel nicht, der Widerspruch fordert orientiert am Mietspiegel 5,23 Euro. Zudem soll der Ausnahmekatalog, also die Regelungen, die Menschen ermöglichen, in ihrer Wohnung weiter zu leben, obwohl sie nach den Kriterien der Stadt zu teuer sind, erweitert werden. Stand der Dinge ist aber zunächst, dass 2007 alles beim alten bleibt, auch was die Ausnahmeregelungen betrifft.

 

Die Initiative des Erwerbslosenausschusses wird unterstützt von Widerspruch e.V., Arbeitslosenzentrum Bielefeld, Bund Soziales Zentrum Deutschland e.V., GAB Bielefeld, IG Metall Arbeitslosengruppe, Perspektive für Arbeitslose und Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut. Der ver.di Erwerbslosenausschuss ruft zum Besuch der Ratssitzung am Donnerstag, 12. Dezember 2006, auf, um die Debatte zu verfolgen. Die Ratssitzung beginnt um 17 Uhr im Großen Saal des Neuen Rathauses.

 

 

Das ALG-II muss dringend verändert werden


Ein Kommentar von Manfred Horn

Weihnachten ist die Zeit der milden Gaben. Zumindest werden sie von allen Seiten eingefordert: Die großen Hilfswerke bitten auf Plakatwänden um Spenden, mancher Verein verschickt in diesen Tagen einen Spendenbrief. 36 Euro für Minderjährige ist wahrlich nicht viel. Aber in Haushalten, in denen die Kasse knapp ist, ist es ein willkommenes Bonbon. Eine pragmatische Haltung, lieber ein bißchen als gar nichts.

Ob die großen Fraktionen im Rat dem zustimmen werden, ist jedoch mehr als fraglich. Warum eigentlich? Die Kosten sind mit rund 400.000 Euro überschaubar, einzig die Zeitenge bis zum Weihnachtsfest dürfte bei der Auszahlung die Verwaltung gehörig unter Druck setzen.

Perspektivisch wichtiger als die einmalige Beihilfe wäre aber, dass sich beim ALG-II grundsätzlich etwas ändert: Dazu gehört eine Erhöhung des Regelsatzes, die von ver.di und anderen Verbänden geforderten 420 Euro erscheinen da wegweisend. Auch müssten die Unterkunftskosten großzügiger ausgelegt werden. Hier kann die Stadt selbst an der Schraube drehen. Die enorme Ersparnis der Stadt von über drei Millionen zeigt, dass viel Luft nach oben ist.

Jeder Umzug ist einer zu viel. 2004 und 2005 gab es jeweils rund 1.000 Aufforderungen zu einem Wohnungswechsel an ALG-II Empfänger, weil die Miete zu hoch sei. Für 2006 rechnet der Sozial- und Gesundheitsausschuss mit 1500 Aufforderungen. Dahinter verbergen sich Streß und Schicksale: Oft ist es nicht leicht, günstigeren Wohnraum zu finden, oft muss eine über Jahre vertraut gewordene Umgebung verlassen werden. Die von Bielefelder Initiativen geforderten 5,23 Euro Kaltmiete sind also machbar, ohne dass die Stadt in den Ruin getrieben würde. Im Gegenteil, die Unterkunftskosten würden immer noch um Millionen unter der ursprünglichen Kalkulation liegen.

Und schließlich müssten ALG-II und Sozialgeld im Kern darauf reduziert werden, was sie sein sollten: Transferleistungen innerhalb einer wohlhabenden Gesellschaft. Eine Idee, die inzwischen bei vielen ziemlich unbeliebt ist, aber eigentlich zum Kern einer sozialen Gesellschaft gehört. Die Transferleistungen sollten von Angeboten begleitet werden, wie den Betroffenen wieder eine Perspektive gegeben werden kann. Das vernachlässigte »Fördern« gehört in den Mittelpunkt, das »Fordern« sollte auf wenige Situationen reduziert werden, zum Beispiel auf Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz haben.