- Ging zurück in die Geschichte, um die Fehler der heutigen Energiegewinnung zu beleuchten: Hermann Scheer
Von Manfred Horn
Hermann
Scheer setzt die Ökologie an die erste Stelle: Ökos ist das Haus, bei der Ökologie
gehe es um die Beschaffenheit des ganzen Hauses. Die Ökonomie hingegen kümmere
sich um die sparsame Verwaltung des Hauses, sei also der Ökologie
untergeordnet. Eine bemerkenswerte Ansicht für einen Sozialdemokraten. Doch
Hermann Scheer, seit 1980 Bundestagsabgeordneter der SPD, kämpft seit langem
für Umweltschutz und erneuerbare Energien. Sein Engagement hat ihm 1999 den
alternativen Nobelpreis eingebracht, auch wenn ihm das wahrscheinlich gar nicht
so wichtig ist.
Scheer
ist auch Präsident von Eurosolar, einer gemeinnützigen Vereinigung für
Erneuerbare Energien mit inzwischen weltweit 20.000 Mitgliedern. Scheer als
Festredner zum Jubiläum des Naturkundemuseums heute namu einzuladen, ist
zugleich Positionierung des Hauses. Denn Scheer nutzte die Aufmerksamkeit der
rund 100 Zuhörer, um ein Plädoyer für die Umkehr der Gesellschaft hin zu mehr
Ökologie zu halten. Ein Ballonfahrer, so erzählt Scheer, sehe die Welt von
oben. Nicht schlecht, weil da lassen sich die großen Zusammenhänge am besten
ausmachen. Doch auch ein Ballonfahrer müsse manchmal notlanden, etwa wenn
schlechtes Wetter aufzieht. Dann kommt er auf irgendeinem Acker runter, steht
in einer Nebelwand und trifft auf einen Menschen. Er fragt ihn, so illustriert
Scheer weiter, wo er denn sei. Die Antwort: »Auf dem Acker.« Für Scheer eine
präzise Antwort, mit der der Ballonfahrer allerdings nichts anfangen könne.
Scheers Schlussfolgerung ist, dass es sich bei diesem Erdling nur um einen
modernen Ökonom handeln könne.
Der Ökonom seziert
Der
Ökonom seziert, sieht die Zusammenhänge nicht. Der Ökologe hingegen denke in
allen biologischen Lebenszusammenhängen, dies reiche weit über den Naturschutz
hinaus, sagt Scheer. Er forderte in seinem Vortrag eine Abkehr von fossiler
Energie. Dass die Energie aus den Rohstoffen aus der Erde komme, sei in der
Geschichte keineswegs ausgemacht gewesen. Die Autobauer Diesel und Ford setzten
zunächst auf alternative Kraftstoffe. Diesel trieb seine Motoren mit Pflanzenöl
an, Ford nutzte Alkohol. »Eine historische Zufälligkeit«, sagt Scheer sei das
gewesen. Er erinnerte auch an die bereits 1866 von Augustin Mouchot entwickelte
erste Solar-Dampfmaschine, bei der die Sonneneinstrahlung mit Hilfe eines
Hohlspiegels auf einen Glaszylinder konzentriert wurde und dort Wasser zum Verdampfen
brachte. Dafür erhielt er 1878 bei der Pariser Weltausstellung eine
Goldmedallie, seine Idee griff die Energieindustrie aber nicht auf. Mit einer
Energieversorgung auf nicht-fossiler Grundlage stünde die Welt heute anders da,
ist sich Scheer sicher.
Deutliche Absage an Atomenergie
Damit
meint Scheer aber nicht die Atomenergie. »Mit Atomenergie können wir eines
Tages Grönland in die Riviera verwandeln«, schrieb einmal Ernst Bloch. Schon
möglich, meint Scheer, aber was passiert mit den Eismassen, die abschmelzen?
Sie würden den Meeresspiegel anheben. Die Atomenergie sei viel zu risikoreich,
es gebe eine »Überfixierung« auf sie. »Die Schöpfermacht hat fasziniert, die
Risiken wurden übersehen«, sagt Scheer. Denn mit Atomenergie ist die
Energiedichte deutlich angestiegen, also die Menge an gewonnener Energie pro
Raumvolumen eines Stoffes, immens angestiegen, bis zu Visionen, mit einem
einzigen Atomkraftwerk ließen sich 100 Millionen Menschen versorgen. Scheer
hält die Richtung für falsch: Die Energiedichte sei nicht entscheidend. Wer etwa
Sonnenenergie einsetzt, erreicht nur einen Bruchteil der Energiedichte von
Atomkraft. Er lebt aber auf der sicheren Seite, und Platz genug für die
Installation von Solaranlagen ist vorhanden. Bei der Atomenergie komme die
militärische Nutzung hinzu, dem ersten Verwendungszweck. Als Antwort auf
Hitlers Atompläne vor allem von emigrierten jüdischen Wissenschaftlern im
zweiten Weltkrieg vorangetrieben, gelingt es heute nicht mehr, den Geist in die
Flasche zurückzubekommen. Immer mehr Staaten wollen Atomenergie, oder haben sie
bereits. »Es ist die Frage, ob auf Dauer ein Zweiklassen-Völkerrecht
durchsetzbar ist«, mahnt Scheer. Einige wenige Staaten dürfen nach diesem Recht
Atomwaffen besitzen, die anderen nicht.
In
den vergangenen 50 Jahren wurde auf der Erde doppelt so viel Energie verbraucht
wie in der ganzen Menschheitsgeschichte. Die fossilen Energieträger werden bald
erschöpft sein. Schlechte Aussicht, werden etwa alternative Energien nur
zögerlich eingesetzt. »Die Natur wird nur als Sache betrachtet«, sagt Scheer,
dabei sei sie etwas, von dem wir Teil sind. »Als Sache betrachtet, isoliert man
es«, so habe sich die Wissenschaft von der Universalwissenschaft zur
Partikularwissenschaft zurückentwickelt. »Wer wertet die vielen Informationen
eigentlich aus«, fragt Scheer. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der es
auch möglich macht, dass auch in hundert Jahren noch Menschen auf dieser Erde
leben können.
- Freuten sich über die 100: Martin Büchner (ehemaliger Museumsleiter), Hermann Scheer, Eberhard David (Oberbürgermeister), Godehard Franzen (Förderverein), Isolde Wrazidlo (namu-Leiterin)