Die
Sozialberatung Widerspruch fordert die Stadt auf, sich der Realtität zu
stellen und die Grenze für »angemessenen Wohnraum« für Leistungsberechtigte
nach dem Sozialgesetzbuch II auf 5,23 Euro zu erhöhen, statt weiter bei den
Betroffenen zu sparen.
Mitte
2006 gab es in Bielefeld circa 40.000 Personen in 20.500 Haushalten, die
leistungsberechtigt nach SGB II waren, also Arbeitslosengeld II (ALG-II)
erhielten. Hinzu kamen rund 3.200 Haushalte mit Leistungsberechtigten der
Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter, für die die gleichen Kriterien bei
der Bezuschussung zum Wohnraum gelten.
Finanziert
wird ein »angemessener Wohnraum«, nach Definition der Stadt darf die Kaltmiete
nicht 4,64 Euro überschreiten. 2004 und 2005 gab es jeweils rund 1.000
Aufforderungen zu einem Wohnungswechsel an ALG-II Empfänger, weil die Miete zu
hoch sei. Für 2006 rechnet der Sozial- und Gesundheitsausschuss mit 1500
Aufforderungen.
Der
Verein Widerspruch sieht jedoch nicht, dass im unteren Preissegment bis 4,64
Euro überhaupt genug Wohnungen zu finden sind. Laut Wohnungsmarktbericht gibt
es in diesem Segment rund 20.000 Wohnungen. Bei einer jährlichen Fluktuation
von rund zehn Prozent stünden theoretisch circa 2.000 Wohnungen zur
Neuvermietung. Die Angebote reichen nicht für ALG-II Bezieher, Studenten und
Geringverdienender, die allesamt auf günstigen Wohnraum angewiesen sind.
Die
Folge: Gerade mal 34 von 349 Haushalten, die sich aufgrund der amtlichen
Aufforderung seit Anfang 2006 auf Wohnungssuche begeben haben, haben auch
»angemessene« unter 4,64 Euro und unter einer bestimmten Quadratmeterzahl
liegende Wohnung gefunden. In mehr als 60 Prozent der Fälle hingegen werden
die »unangemessenen Kosten« der Unterkunft von den ALG-II Empfängern selbst
gezahlt. Das heißt, sie kratzen den Differenzbetrag zwischen Miete und
Unterkunftszahlung der ARGE (Arbeitsgemeinschaft zwischen Stadt und Agentur für
Arbeit) von den 345 Euro ALG-II zusammen, die ihnen ausgezahlt werden. In einer
Informationsvorlage zum Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 22. August heißt
es dann: »Aufgrund dieser Ergebnisse ist der Focus im Verfahren zur Senkung der
Unterkunftskosten noch stärker auf die Selbsthilfemöglichkeiten zu richten und
der Wohnungswechsel weiter in den Hintergrund zu rücken«.
»Selbsthilfemöglichkeiten« meint, dass die ALG-II-Empfänger, wenn sie denn
unbedingt wollen, ihr ALG-II bitte schön auch für den Wohnraum verbrauchen
sollen.
Aber
dies nur in Maßen: Wenn Leistungsbezieher trotz zu teurer Wohnkosten in ihrer
Wohnung bleiben wollen, werden angemessene Unterkunftskosten vom Amt nur dann
übernommen, wenn nachvollziehbar ist, wie der Differenzbetrag zwischen den
angemessenen und den unangemessenen Kosten bestritten werden soll; ansonsten
wird aufgrund von Zweifeln an der Bedürftigkeit die Weiterzahlung der gesamten
ALG II Leistung abgelehnt. Dagegen
steht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes: Auch wenn nicht
nachgewiesen wird, wie der Differenzbetrag zwischen angemessenen und
unangemessenen Kosten finanziert wird, sind die angemessenen Kosten der
Unterkunft immer zu berücksichtigen (BVerwG 1.10.1998 Az. 5 C 6.98). Zu hohe Unterkunftskosten
wirken grundsätzlich nicht anspruchsvernichtend (Gesetzeskommentar LPK-SGB XII
§ 29 Rz 44). »Auch die Stadt Bielefeld sollte sich an die Rechtsprechung des
Bundesgerichtes halten«, erklärt Widerspruch.
Selbsthilfe heißt vor allem kaum Geld
»Selbsthilfe«
im Sinne der Stadt heißt aber auch, dass ein Umzug auch selbst organisiert
werden soll. Durchschnittlich werden nur 100 Euro für Leihwagen und
Helferbewirtung anerkannt. Sonstige Kosten, die bei einem Umzug üblicherweise
anfallen, so die Renovierung der alten oder der neue Wohnung, Neuanschluß von
Herd oder Spüle, Umbau der Einbauküche, Neuanschaffung einzelner notwendiger
Einrichtungsgegenstände, werden nicht berücksichtigt.
Widerspruch fordert seit langem eine Erhöhung des angemessenen
Mietpreises auf 5,23 Euro, dem Mittelwert des Bielefelder Mietspiegels für
normale Wohnanlagen. Ferner fordert »Widerspruch«, die Warmmiete als Kriterium
der Angemessenheit zu sehen. Nach den Richtlinien der Stadt kann es passieren,
dass eine dreiköpfige Familie aus einer Wohnung, für die sie monatlich 380 Euro
kalt und 150 Euro Betriebs- und Heizkosten zahlt, ausziehen muss, während der
Umzug in eine andere Wohnung, die mtl. 340 Euro kalt und 190 Euro Betriebs- und
Heizkosten kostet, genehmigt werden könnte. »Um solche Absurditäten zu vermeiden
und, sollte es ergänzend zu dem angemessen Kaltmietpreis auch einen
angemessenen Warmmietpreis geben«, sagt Widerspruch und kommt auf eine
»angemessene Warmmiete« von 7,76 Euro.
Nachweisverfahren verstößt gegen Datenschutz
Konkrete
Kritik äußert Widerspruch auch am verlangten Nachweisverfahren für Bemühungen,
günstigeren Wohnraum zu bekommen. Den betroffenen Haushalten wird auferlegt,
sich bei der BGW und acht weiteren Wohnungsanbietern registrieren und dies auf
einer mitgeschickten Liste bestätigen zu lassen. Die ausgefüllte Liste muss
spätestens ein Monat nach Erhalt des Aufforderungsschreibens wieder bei der
ARGE vorgelegt werden. Nach Ablauf von drei Monaten müssen die Betroffenen
nachweisen, ob ihnen Wohnungsangebote der Wohnungsgesellschaften unterbreitet
worden sind. Dazu ist das ebenfalls übersandte Formular »Bestätigung über
Wohnungsangebote« vorzulegen, auch eine Liste, die alle Wohnungsgesellschaften
ankreuzen und abstempeln sollen. Außerdem enthalten beide Listen eine
Einverständniserklärung der Wohnungssuchenden, dahingehend, dass die
Wohnungsbaugesellschaften der ARGE Auskünfte über angebotene Wohnungen und das
Ergebnis der Wohnungsvermittlung geben. »Aus unserer Sicht muß es den
Betroffenen allein schon aus datenschutzrechtlichen Gründen überlassen bleiben,
wie sie ihre Bemühungen um Kostensenkung nachweisen«, sagt die Sozialberatung
Widerspruch.
Mehr
Informationen, Beratungszeiten des Widerspruch:
www.bi-buergerwache.de/html/widerspruch.html