Webwecker Bielefeld: Wie weiter mit den Unterkunftskosten? (01.11.2006)

Wie weiter mit den Unterkunftskosten? (01.11.2006)



Die Sozialberatung ›Widerspruch‹ fordert die Stadt auf, sich der Realtität zu stellen und die Grenze für »angemessenen Wohnraum« für Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch II auf 5,23 Euro zu erhöhen, statt weiter bei den Betroffenen zu sparen.

 

Mitte 2006 gab es in Bielefeld circa 40.000 Personen in 20.500 Haushalten, die leistungsberechtigt nach SGB II waren, also Arbeitslosengeld II (ALG-II) erhielten. Hinzu kamen rund 3.200 Haushalte mit Leistungsberechtigten der Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter, für die die gleichen Kriterien bei der Bezuschussung zum Wohnraum gelten.

Finanziert wird ein »angemessener Wohnraum«, nach Definition der Stadt darf die Kaltmiete nicht 4,64 Euro überschreiten. 2004 und 2005 gab es jeweils rund 1.000 Aufforderungen zu einem Wohnungswechsel an ALG-II Empfänger, weil die Miete zu hoch sei. Für 2006 rechnet der Sozial- und Gesundheitsausschuss mit 1500 Aufforderungen.

Der Verein Widerspruch sieht jedoch nicht, dass im unteren Preissegment bis 4,64 Euro überhaupt genug Wohnungen zu finden sind. Laut Wohnungsmarktbericht gibt es in diesem Segment rund 20.000 Wohnungen. Bei einer jährlichen Fluktuation von rund zehn Prozent stünden theoretisch circa 2.000 Wohnungen zur Neuvermietung. Die Angebote reichen nicht für ALG-II Bezieher, Studenten und Geringverdienender, die allesamt auf günstigen Wohnraum angewiesen sind.

Die Folge: Gerade mal 34 von 349 Haushalten, die sich aufgrund der amtlichen Aufforderung seit Anfang 2006 auf Wohnungssuche begeben haben, haben auch »angemessene« – unter 4,64 Euro und unter einer bestimmten Quadratmeterzahl liegende – Wohnung gefunden. In mehr als 60 Prozent der Fälle hingegen werden die »unangemessenen Kosten« der Unterkunft von den ALG-II Empfängern selbst gezahlt. Das heißt, sie kratzen den Differenzbetrag zwischen Miete und Unterkunftszahlung der ARGE (Arbeitsgemeinschaft zwischen Stadt und Agentur für Arbeit) von den 345 Euro ALG-II zusammen, die ihnen ausgezahlt werden. In einer Informationsvorlage zum Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 22. August heißt es dann: »Aufgrund dieser Ergebnisse ist der Focus im Verfahren zur Senkung der Unterkunftskosten noch stärker auf die Selbsthilfemöglichkeiten zu richten und der Wohnungswechsel weiter in den Hintergrund zu rücken«. »Selbsthilfemöglichkeiten« meint, dass die ALG-II-Empfänger, wenn sie denn unbedingt wollen, ihr ALG-II bitte schön auch für den Wohnraum verbrauchen sollen.

Aber dies nur in Maßen: Wenn Leistungsbezieher trotz zu teurer Wohnkosten in ihrer Wohnung bleiben wollen, werden angemessene Unterkunftskosten vom Amt nur dann übernommen, wenn nachvollziehbar ist, wie der Differenzbetrag zwischen den angemessenen und den unangemessenen Kosten bestritten werden soll; ansonsten wird aufgrund von Zweifeln an der Bedürftigkeit die Weiterzahlung der gesamten ALG II Leistung abgelehnt.  Dagegen steht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes: Auch wenn nicht nachgewiesen wird, wie der Differenzbetrag zwischen angemessenen und unangemessenen Kosten finanziert wird, sind die angemessenen Kosten der Unterkunft immer zu berücksichtigen (BVerwG 1.10.1998 Az. 5 C 6.98). Zu hohe Unterkunftskosten wirken grundsätzlich nicht anspruchsvernichtend (Gesetzeskommentar LPK-SGB XII § 29 Rz 44). »Auch die Stadt Bielefeld sollte sich an die Rechtsprechung des Bundesgerichtes halten«, erklärt Widerspruch.


Selbsthilfe heißt vor allem kaum Geld

»Selbsthilfe« im Sinne der Stadt heißt aber auch, dass ein Umzug auch selbst organisiert werden soll. Durchschnittlich werden nur 100 Euro für Leihwagen und Helferbewirtung anerkannt. Sonstige Kosten, die bei einem Umzug üblicherweise anfallen, so die Renovierung der alten oder der neue Wohnung, Neuanschluß von Herd oder Spüle, Umbau der Einbauküche, Neuanschaffung einzelner notwendiger Einrichtungsgegenstände, werden nicht berücksichtigt.

Widerspruch fordert seit langem eine Erhöhung des angemessenen Mietpreises auf 5,23 Euro, dem Mittelwert des Bielefelder Mietspiegels für normale Wohnanlagen. Ferner fordert »Widerspruch«, die Warmmiete als Kriterium der Angemessenheit zu sehen. Nach den Richtlinien der Stadt kann es passieren, dass eine dreiköpfige Familie aus einer Wohnung, für die sie monatlich 380 Euro kalt und 150 Euro Betriebs- und Heizkosten zahlt, ausziehen muss, während der Umzug in eine andere Wohnung, die mtl. 340 Euro kalt und 190 Euro Betriebs- und Heizkosten kostet, genehmigt werden könnte. »Um solche Absurditäten zu vermeiden und, sollte es ergänzend zu dem ›angemessen Kaltmietpreis‹ auch einen ›angemessenen Warmmietpreis‹ geben«, sagt Widerspruch und kommt auf eine »angemessene Warmmiete« von 7,76 Euro.


Nachweisverfahren verstößt gegen Datenschutz

Konkrete Kritik äußert Widerspruch auch am verlangten Nachweisverfahren für Bemühungen, günstigeren Wohnraum zu bekommen. Den betroffenen Haushalten wird auferlegt, sich bei der BGW und acht weiteren Wohnungsanbietern registrieren und dies auf einer mitgeschickten Liste bestätigen zu lassen. Die ausgefüllte Liste muss spätestens ein Monat nach Erhalt des Aufforderungsschreibens wieder bei der ARGE vorgelegt werden. Nach Ablauf von drei Monaten müssen die Betroffenen nachweisen, ob ihnen Wohnungsangebote der Wohnungsgesellschaften unterbreitet worden sind. Dazu ist das ebenfalls übersandte Formular »Bestätigung über Wohnungsangebote« vorzulegen, auch eine Liste, die alle Wohnungsgesellschaften ankreuzen und abstempeln sollen. Außerdem enthalten beide Listen eine Einverständniserklärung der Wohnungssuchenden, dahingehend, dass die Wohnungsbaugesellschaften der ARGE Auskünfte über angebotene Wohnungen und das Ergebnis der Wohnungsvermittlung geben. »Aus unserer Sicht muß es den Betroffenen allein schon aus datenschutzrechtlichen Gründen überlassen bleiben, wie sie ihre Bemühungen um Kostensenkung nachweisen«, sagt die Sozialberatung Widerspruch. 


Mehr Informationen, Beratungszeiten des Widerspruch: www.bi-buergerwache.de/html/widerspruch.html