»And the winner is ... mal wieder nicht da«, könnte es
eigentlich am vergangenen Freitag in der Ravensberger Spinnerei geheißen haben.
Denn wie in den vergangenen Jahren wollten die Preisträger der Big Brother
Awards den Preis für exzessives Datensammeln nicht haben, der zum siebten Mal
verliehen wurde. Macht nichts, eigentlich will man die Datenkraken ja auch gar
nicht persönlich kennenlernen. Bedenklicher als deren Abwesenheit ist, dass es
in diesem Jahr keinen Preisträger im Bereich Arbeitswelt gab. Denn nach Angaben
des foebud, Bielefelder Veranstalter der Verleihung der Auszeichnung, die
keiner haben will, scheiterte die Vergabe des Preises in dieser Kategorie
daran, dass Big Brother offensichtlich Arbeitnehmer schon so eingeschüchtert
hat, dass sie sich gar nicht mehr trauen, Gesicht gegen Datenschutzverstöße
ihres Arbeitgebers zu zeigen.
Von Mario A.
Sarcletti
Mal wieder wollten amehr Zuschauer als im vergangenen Jahr der
Verleihung der Big Brother Awards am vergangenen Freitag beiwohnen. Und wie
gehabt wollten die »Ausgezeichneten«
den Preis gar nicht haben. Denn der Big Brother Award zeichnet
diejenigen aus, die sich aus Sicht der Jury rund um den Bielefelder »Verein zur
Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs« (foebud),
Chaos Computer Club und andere Datenschutz- und Bürgerrechtsinitiativen, bei
der Missachtung des Datenschutzes besonders ausgezeichnet haben.
Und wie bereits in den vergangenen Jahren musste der Bielefelder
Künstler padeluun für die Abwesenden einspringen und für eine »kabarettistische
Pflichtverteidigung sorgen. Aber anders als bisher versuchte er nicht die
datenschutzrechtlichen »Fehltritte« »seiner« Unternehmen und Behörden zu
rechtfertigen. Nur in einem Fall gaben sich die Preisträger uneinsichtig, die
Mehrheit zeigte sich zerknirscht und entschuldigte sich für die Maßnahmen. Wird
padeluun altersmilde?
Wohl kaum, schließlich zeigen die diesjährigen Preisträger, dass
padeluun es noch mit fast jedem aufnimmt. So erhielten in diesem Jahr gleich
drei politische Schwergewichte den »Preis für Datenkraken«. Sie eint, dass ihr
Name oft nur in Kurzform dem Bürger begegnet. IMK, KMK und MV heißen die drei,
die gleich zwei Preise in der Kategorie Politik und einen im Bereich Behörden
und Verwaltung einheimsten.
MV steht allerdings in diesem Fall nicht für den ehemaligen
DFB-Vorsitzenden Mayer-Vorfelder, der bereits im vergangenen Jahr für die
Schnüffelaktion bei WM-Ticket-Käufern
eigentlich mitbelohnt wurde. Damals erhielt Franz Beckenbauer die
Trophäe für das WM-Organisationskomitee, das von seinen Kunden ein bisschen
viel wissen wollte, bevor es ein Ticket ausgab.
Big Brother lauscht beim Flirten, Lästern, Tratschen
In diesem Jahr steht MV für das sympathische kleine Bundesland, dessen
Bürger bis vor 16 Jahren viel Erfahrung mit einem Schnüffelstaat machen
konnten. Das hinderte aber eine große Koalition von SPD, PDS und CDU nicht
daran, in eine neue Dimension der Überwachung des öffentlichen Raumes
vorzudringen. Denn in dem Bundesland können Polizei und Ordnungsbehörden nach
dem »Gesetz für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in
Mecklenburg-Vorpommern« öffentliche Orte nicht nur per Video überwachen. Das
Gesetz erlaubt auch Tonaufzeichnungen, wenn so das Gesetz - »Tatsachen die
Annahmen rechtfertigen, dass an oder in Objekten dieser Art Straftaten begangen
werden sollen«. Dabei umwarb 2002 selbst der Deutsche Bundestag ostdeutsche
Bürger in einer Plakatkampagne damit, dass beim »Lästern, Flirten, Tratschen«
in der Bundesrepublik niemand mehr mithört.
Keine große Überraschung war, dass in diesem Jahr die IMK, also die
Innenministerkonferenz einen Big Brother Award erhielt. Schließlich bedeutet
die gemeinsame Anti-Terror-Datei, die mit dem
»Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« eingeführt wurde, einen Tabubruch,
denn mit ihr wird die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten
aufgehoben. Laudator Rolf Gössner von der Internationalen Liga für
Menschenrechte wies darauf hin, dass diese Trennung auch als »bedeutsame
Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo in der Nazizeit« von
der Verfassung gefordert wird. Verstoßen also
die, die die Verfassung schützen sollten, gegen diese? Rolf Gössner
meint ja: »Strenggenommen ist das ein Fall für den Verfassungsschutz, wenn
nicht sogar für einen Aufnahme in die Anti-Terror-Datei«, sagte Gössner unter
großem Applaus.
Ob die Maßnahme, für die die Kultusministerkonferenz (KMK)
ausgezeichnet wurde, tatsächlich kommt, ist noch fraglich. Denn die Pläne eine
einheitliche lebenslange Identitätsnummer für alle Schüler einzuführen ist
unter den Länderministern umstritten. Auch NRW-Schulministerin Barbara Sommer
sprach sich Anfang dieser Woche gegen die Pläne aus, auch sie glaubt nicht,
dass die Pläne die Misere des deutschen Bildungswesens lösen können. Auch
Laudatorin Karin Schuler (Deutsche Vereinigung für Datenschutz) bezweifelte,
dass »die angeblich mangelhaften Statistiken in erster Linie für die
Fehlentwicklungen verantwortlich sind«, die durch PISA- und OECD-Studien ans
Licht kamen. Zudem kritisiert sie, dass Datenschutzanforderungen bei der
Datensammlung »vollständig ignoriert« würden.
Versprechen gebrochen
Sie hat auch Zweifel, dass das »Bildungsprofil«, das die Menschen ihr
Leben lang begleitet, in Zukunft nicht
auch Polizei, Arbeitgeber oder Banken interessieren könne. Den Versprechungen
auf eine deutliche Zweckbegrenzung mag sie nicht so recht glauben und verweist
auf das Mauterfassungssystem »Toll Collect«, das 2002 den Big Brother Award
erhielt. Auch bei den Mautkameras, die flächendeckend auf den Autobahnen
installiert sind, hatte die Politik versprochen, dass die Daten nur zur
Mautabrechnung verwendet würden.
In einem Rückblick verwies Fredrik Roggan von der Humanistischen Union
darauf, dass entgegen der Versprechungen die Daten in diesem Jahr für die
Fahndung nach einem Frauenmörder verwendet wurden. Genau das hatte die Big
Brother Jury damals befürchtet, dass die erfassten Kennzeichen auch für andere
Zwecke verwendet werden könnten. »Eine Prognose, mit der wir leider Recht
hatten und das tun wir eigentlich nicht so gerne«, sagte Roggan. Er verwies
aber auch auf Erfolge der Bürgerrechtler. So sprachen sich bei einer Anhörung
zu RFID-Chips, die durch die Veranstalter der Big Brother Awards bekannt
wurden, 85 Prozent der Experten für eine gesetzliche Regelung für die Chips
aus, die berührungslos Daten übertragen und zum Beispiel in Verpackungen
integriert werden können.
Eine geheime Botschaft, wie die Chips, übermitteln auch CD-Brenner,
weshalb in der Kategorie »Technik« der Phillips-Konzern ausgezeichnet wurde.
Denn auch der lässt seine Brenner auf den Silberling ihre Seriennummer
einbrennen. Dadurch lässt sich zurückverfolgen, auf welchem Brenner eine CD
erstellt wurde. »Die anonyme Weitergabe von Daten ist nicht mehr möglich«,
begründete Frank Rosengart vom Chaos Computer Club, warum Philips den Preis
bekommt.
Weitere Preisträger waren in diesem Jahr zwei Wirtschaftsverbände. Zum
einen die »Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication«
(SWIFT). Die Gesellschaft mit Sitz in Belgien speichert die Daten aller
internationalen Überweisungen. Wie am 23. Juni bekannt wurde, stellt sie diese
Daten seit etwa fünf Jahren der CIA zur Verfügung. Im Falle von Überweisungen
von den und in die USA, kann sie sich darauf auf US-Recht berufen, das
Finanzamt beschlagnahmte die Daten. Als »geradezu grotesk« bezeichnete Laudator
Frank Hülsmann aber die Tatsache, dass SWIFT zudem die Daten innereuropäischer
Überweisungen zur Datensicherung auf einen Server in den Vereinigten Staaten
spiegelte und sie damit dem Zugriff der US-Behörden aussetzte. Von alldem
wussten die 7800 Mitgliedsbanken nichts,
nur die Zentralbanken und der SWIFT-Aufsichtsrat waren informiert. In
dem sitzen als Vertreter der deutschen Geldinstitute Roland Böff von der
Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und Wolfgang Gaertner von der Deutschen Bank,
deshalb bekamen sie stellvertretend den Award.
Schließlich erhielt noch der Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft den Preis in der Kategorie »Verbraucher«. Denn der
Verband speichert die Daten von Millionen Menschen in einer »Warn- und
Hinweisdatei«. Die soll die Versicherungen vor Betrügern schützen und enthält
nach Angabe der Laudatorin Rena Tangens zehn Millionen Einträge. Aber selbst
die Versicherungswirtschaft räumt ein, dass es in Deutschland keine zehn
Millionen Versicherungsbetrüger gibt. Voraussetzung für einen Eintrag sei, dass
jemand an einem Schaden beteiligt sei und der Versicherte im Verdacht stehe,
betrogen zu haben, sagt die Versicherungswirtschaft. »Es muss aber nicht
nachgewiesen werden, dass er ein Betrüger ist«, zitierte Rena Tangens aus dem
verbandseigenen Magazin der Versicherungswirtschaft. Um in der Datei zu
landen, reicht es ihr zufolge aus sich
nach Versicherungskonditionen zu erkundigen oder einmal pro Jahr bei seiner
Rechtsschutzversicherung anzufragen, ob sie einen Fall übernimmt.
Alles in allem gab es also auch in diesem Jahr wieder Empfänger der Big
Brother Awards, die diese verdient haben. Wie aus den auch in diesem Jahr
ausgesprochen Tadeln hervorgeht, bemühten sich noch viele andere um den Preis,
insgesamt 330 Vorschläge wurden in diesem Jahr eingereicht. Einen Preis
verdient hätte eigentlich auch der Inneneminister von Baden Württemberg,
Heribert Rech, für seinen so genannten »Moslem-Test«. In dem sollten etwa die
Reaktionen auf sexuelle Orientierungen oder familiäre Verhaltensweisen
erschnüffelt werden, die »dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen
sind«, wie Fredrik Roggan erläuterte.
Für Rech reichte es dennoch nicht zu einem Big Brother Award. Auch
schnüffelnde Arbeitgeber gingen in diesem Jahr leer aus. »Das bedeutet aber
nicht, dass da alles in Ordnung ist, im Gegenteil«, warnte Fredrik Roggan.
Vielmehr hätten Nominatoren ihre Vorschläge aus Angst um den Arbeitsplatz
zurückgezogen.