Webwecker Bielefeld: Verfassungsfeindliche Innenminister? (25.10.2006)

Verfassungsfeindliche Innenminister? (25.10.2006)



»And the winner is ... mal wieder nicht da«, könnte es eigentlich am vergangenen Freitag in der Ravensberger Spinnerei geheißen haben. Denn wie in den vergangenen Jahren wollten die Preisträger der Big Brother Awards den Preis für exzessives Datensammeln nicht haben, der zum siebten Mal verliehen wurde. Macht nichts, eigentlich will man die Datenkraken ja auch gar nicht persönlich kennenlernen. Bedenklicher als deren Abwesenheit ist, dass es in diesem Jahr keinen Preisträger im Bereich Arbeitswelt gab. Denn nach Angaben des foebud, Bielefelder Veranstalter der Verleihung der Auszeichnung, die keiner haben will, scheiterte die Vergabe des Preises in dieser Kategorie daran, dass Big Brother offensichtlich Arbeitnehmer schon so eingeschüchtert hat, dass sie sich gar nicht mehr trauen, Gesicht gegen Datenschutzverstöße ihres Arbeitgebers zu zeigen.

 

Von Mario A. Sarcletti

 

Mal wieder wollten amehr Zuschauer als im vergangenen Jahr der Verleihung der Big Brother Awards am vergangenen Freitag beiwohnen. Und wie gehabt wollten die »Ausgezeichneten«  den Preis gar nicht haben. Denn der Big Brother Award zeichnet diejenigen aus, die sich aus Sicht der Jury rund um den Bielefelder »Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs« (foebud), Chaos Computer Club und andere Datenschutz- und Bürgerrechtsinitiativen, bei der Missachtung des Datenschutzes besonders ausgezeichnet haben.

Und wie bereits in den vergangenen Jahren musste der Bielefelder Künstler padeluun für die Abwesenden einspringen und für eine »kabarettistische Pflichtverteidigung sorgen. Aber anders als bisher versuchte er nicht die datenschutzrechtlichen »Fehltritte« »seiner« Unternehmen und Behörden zu rechtfertigen. Nur in einem Fall gaben sich die Preisträger uneinsichtig, die Mehrheit zeigte sich zerknirscht und entschuldigte sich für die Maßnahmen. Wird padeluun altersmilde?

Wohl kaum, schließlich zeigen die diesjährigen Preisträger, dass padeluun es noch mit fast jedem aufnimmt. So erhielten in diesem Jahr gleich drei politische Schwergewichte den »Preis für Datenkraken«. Sie eint, dass ihr Name oft nur in Kurzform dem Bürger begegnet. IMK, KMK und MV heißen die drei, die gleich zwei Preise in der Kategorie Politik und einen im Bereich Behörden und Verwaltung einheimsten.

MV steht allerdings in diesem Fall nicht für den ehemaligen DFB-Vorsitzenden Mayer-Vorfelder, der bereits im vergangenen Jahr für die Schnüffelaktion bei WM-Ticket-Käufern  eigentlich mitbelohnt wurde. Damals erhielt Franz Beckenbauer die Trophäe für das WM-Organisationskomitee, das von seinen Kunden ein bisschen viel wissen wollte, bevor es ein Ticket ausgab.

 

Big Brother lauscht beim Flirten, Lästern, Tratschen

In diesem Jahr steht MV für das sympathische kleine Bundesland, dessen Bürger bis vor 16 Jahren viel Erfahrung mit einem Schnüffelstaat machen konnten. Das hinderte aber eine große Koalition von SPD, PDS und CDU nicht daran, in eine neue Dimension der Überwachung des öffentlichen Raumes vorzudringen. Denn in dem Bundesland können Polizei und Ordnungsbehörden nach dem »Gesetz für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern« öffentliche Orte nicht nur per Video überwachen. Das Gesetz erlaubt auch Tonaufzeichnungen, wenn – so das Gesetz - »Tatsachen die Annahmen rechtfertigen, dass an oder in Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen«. Dabei umwarb 2002 selbst der Deutsche Bundestag ostdeutsche Bürger in einer Plakatkampagne damit, dass beim »Lästern, Flirten, Tratschen« in der Bundesrepublik niemand mehr mithört.

Keine große Überraschung war, dass in diesem Jahr die IMK, also die Innenministerkonferenz einen Big Brother Award erhielt. Schließlich bedeutet die gemeinsame Anti-Terror-Datei, die mit dem »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« eingeführt wurde, einen Tabubruch, denn mit ihr wird die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgehoben. Laudator Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte wies darauf hin, dass diese Trennung auch als »bedeutsame Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo in der Nazizeit« von der Verfassung gefordert wird. Verstoßen also  die, die die Verfassung schützen sollten, gegen diese? Rolf Gössner meint ja: »Strenggenommen ist das ein Fall für den Verfassungsschutz, wenn nicht sogar für einen Aufnahme in die Anti-Terror-Datei«, sagte Gössner unter großem Applaus.

Ob die Maßnahme, für die die Kultusministerkonferenz (KMK) ausgezeichnet wurde, tatsächlich kommt, ist noch fraglich. Denn die Pläne eine einheitliche lebenslange Identitätsnummer für alle Schüler einzuführen ist unter den Länderministern umstritten. Auch NRW-Schulministerin Barbara Sommer sprach sich Anfang dieser Woche gegen die Pläne aus, auch sie glaubt nicht, dass die Pläne die Misere des deutschen Bildungswesens lösen können. Auch Laudatorin Karin Schuler (Deutsche Vereinigung für Datenschutz) bezweifelte, dass »die angeblich mangelhaften Statistiken in erster Linie für die Fehlentwicklungen verantwortlich sind«, die durch PISA- und OECD-Studien ans Licht kamen. Zudem kritisiert sie, dass Datenschutzanforderungen bei der Datensammlung »vollständig ignoriert« würden.


Versprechen gebrochen

Sie hat auch Zweifel, dass das »Bildungsprofil«, das die Menschen ihr Leben lang begleitet,  in Zukunft nicht auch Polizei, Arbeitgeber oder Banken interessieren könne. Den Versprechungen auf eine deutliche Zweckbegrenzung mag sie nicht so recht glauben und verweist auf das Mauterfassungssystem »Toll Collect«, das 2002 den Big Brother Award erhielt. Auch bei den Mautkameras, die flächendeckend auf den Autobahnen installiert sind, hatte die Politik versprochen, dass die Daten nur zur Mautabrechnung verwendet würden.

In einem Rückblick verwies Fredrik Roggan von der Humanistischen Union darauf, dass entgegen der Versprechungen die Daten in diesem Jahr für die Fahndung nach einem Frauenmörder verwendet wurden. Genau das hatte die Big Brother Jury damals befürchtet, dass die erfassten Kennzeichen auch für andere Zwecke verwendet werden könnten. »Eine Prognose, mit der wir leider Recht hatten und das tun wir eigentlich nicht so gerne«, sagte Roggan. Er verwies aber auch auf Erfolge der Bürgerrechtler. So sprachen sich bei einer Anhörung zu RFID-Chips, die durch die Veranstalter der Big Brother Awards bekannt wurden, 85 Prozent der Experten für eine gesetzliche Regelung für die Chips aus, die berührungslos Daten übertragen und zum Beispiel in Verpackungen integriert werden können.

Eine geheime Botschaft, wie die Chips, übermitteln auch CD-Brenner, weshalb in der Kategorie »Technik« der Phillips-Konzern ausgezeichnet wurde. Denn auch der lässt seine Brenner auf den Silberling ihre Seriennummer einbrennen. Dadurch lässt sich zurückverfolgen, auf welchem Brenner eine CD erstellt wurde. »Die anonyme Weitergabe von Daten ist nicht mehr möglich«, begründete Frank Rosengart vom Chaos Computer Club, warum Philips den Preis bekommt.

Weitere Preisträger waren in diesem Jahr zwei Wirtschaftsverbände. Zum einen die »Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication« (SWIFT). Die Gesellschaft mit Sitz in Belgien speichert die Daten aller internationalen Überweisungen. Wie am 23. Juni bekannt wurde, stellt sie diese Daten seit etwa fünf Jahren der CIA zur Verfügung. Im Falle von Überweisungen von den und in die USA, kann sie sich darauf auf US-Recht berufen, das Finanzamt beschlagnahmte die Daten. Als »geradezu grotesk« bezeichnete Laudator Frank Hülsmann aber die Tatsache, dass SWIFT zudem die Daten innereuropäischer Überweisungen zur Datensicherung auf einen Server in den Vereinigten Staaten spiegelte und sie damit dem Zugriff der US-Behörden aussetzte. Von alldem wussten die 7800 Mitgliedsbanken nichts,  nur die Zentralbanken und der SWIFT-Aufsichtsrat waren informiert. In dem sitzen als Vertreter der deutschen Geldinstitute Roland Böff von der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und Wolfgang Gaertner von der Deutschen Bank, deshalb bekamen sie stellvertretend den Award.

Schließlich erhielt noch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft den Preis in der Kategorie »Verbraucher«. Denn der Verband speichert die Daten von Millionen Menschen in einer »Warn- und Hinweisdatei«. Die soll die Versicherungen vor Betrügern schützen und enthält nach Angabe der Laudatorin Rena Tangens zehn Millionen Einträge. Aber selbst die Versicherungswirtschaft räumt ein, dass es in Deutschland keine zehn Millionen Versicherungsbetrüger gibt. Voraussetzung für einen Eintrag sei, dass jemand an einem Schaden beteiligt sei und der Versicherte im Verdacht stehe, betrogen zu haben, sagt die Versicherungswirtschaft. »Es muss aber nicht nachgewiesen werden, dass er ein Betrüger ist«, zitierte Rena Tangens aus dem verbandseigenen Magazin der Versicherungswirtschaft. Um in der Datei zu landen,  reicht es ihr zufolge aus sich nach Versicherungskonditionen zu erkundigen oder einmal pro Jahr bei seiner Rechtsschutzversicherung anzufragen, ob sie einen Fall übernimmt.

Alles in allem gab es also auch in diesem Jahr wieder Empfänger der Big Brother Awards, die diese verdient haben. Wie aus den auch in diesem Jahr ausgesprochen Tadeln hervorgeht, bemühten sich noch viele andere um den Preis, insgesamt 330 Vorschläge wurden in diesem Jahr eingereicht. Einen Preis verdient hätte eigentlich auch der Inneneminister von Baden Württemberg, Heribert Rech, für seinen so genannten »Moslem-Test«. In dem sollten etwa die Reaktionen auf sexuelle Orientierungen oder familiäre Verhaltensweisen erschnüffelt werden, die »dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind«, wie Fredrik Roggan erläuterte.

Für Rech reichte es dennoch nicht zu einem Big Brother Award. Auch schnüffelnde Arbeitgeber gingen in diesem Jahr leer aus. »Das bedeutet aber nicht, dass da alles in Ordnung ist, im Gegenteil«, warnte Fredrik Roggan. Vielmehr hätten Nominatoren ihre Vorschläge aus Angst um den Arbeitsplatz zurückgezogen.