Von Manfred Horn
25
Jahre Jubiläum des Gesundheitsladens zurückgerechnet landet man im Jahr 1981
und damit fast schon auf einem anderen Planeten. In der Bundesrepublik nahm
eine Gesundheitsbewegung Form an, als Reaktion auf ein paternalistisches
Gesundheitssystem mit den Göttern in Weiß an der Spitze. Vorausgegangen war
1980 der erste Gesundheitstag in West-Berlin. 10.000 Menschen nahmen teil, in
der Folge entstanden in vielen Großstädten Gesundheitsläden.
Heute
hat sich die Bewegung eingerichtet, wenn auch nicht besonders komfortabel, weil
ständig Geldnot herrscht. Die BIKIS als Bielefelder Netzwerk kennt inzwischen
über 250 Selbsthilfegruppen, die alle irgendetwas mit Gesundheit zu tun haben.
Und der Gesundheitsladen existiert vor allem als PatientInnenstelle.
Positive Bilanz
Günter
Hölling, einer der Mitarbeiter des Gesundheitsladens, sieht im Rückblick
durchaus Erfolge: Ärzte orientierten sich heute im Grundsatz stärker an den
Interessen der Patienten: »Der Komisston in der Praxis gehört weitestgehend der
Vergangenheit an«, sagt Hölling. Und dort, wo er vom Arzt noch gepflegt wird,
scheinen die Patienten ihn offenbar nötig zu haben. Denn die Konkurrenz wächst.
Ein Wechsel zu einem kommunikativeren Arzt ist meistens leicht. Die
Veränderung, ergänzt Hölling, sei auch bei der Geburtshilfe in den Kliniken
sichtbar. Dort werde längst viel stärker auf die Wünsche der gebärenden Frauen
eingegangen.
Zugleich,
und das merkt Hölling kritisch an, würden die Mechanismen subtiler. »Viele
Leistungen sind aus der Kasse raus«, der Patient müsse schauen, welche
zusätzlichen Angebote der Ärzte er tatsächlich brauche. Aus dem
Arzt-Patient-Verhältnis wird zunehmend auch ein Verkäufer-Kunden-Verhältnis.
Wer etwas verkaufen will, kann sich Unfreundlichkeit nicht mehr leisten.
In
der Gründungsphase des Gesundheitsladens gab es, wie damals in der alternativen
Szene üblich, lange Plena. Diskutiert wurde viel, aber eben auch zusammen
gekocht und manchmal auch gewandert. Die Themenpalette reichte damals von
Selbsthilfe über alternative Heilformen bis hin zur Antipsychatrie.
Die
ersten Räumlichkeiten lagen in der Webereistraße, 1986 dann kam der
Gesundheitsladen in der Meller Straße an. Auf das rote Sofa wurden Gäste zum
Vortrag und zur Debatte geladen. Von den in der Gründungsphase entstandenen
Gruppen hatten sich bereits einige aufgelöst, andere im Laufe der Jahre
verselbstständigt. So entstand auch die BIKIS, heute das größte
Selbsthilfenetzwerk der Stadt, im Gesundheitsladen und machte sich dann
eigenständig.
Als
eine stabile Arbeitsgruppe gründete sich 1988 dann die AG Bio- und
Gentechnologie. Sie beschäftigte sich mit der roten Gentechnologie in der Medizin
und der grünen in Nahrungsmitteln. Damals wurden in der Klinik Rosenhöhe gerade
die ersten Retortenbabys »hergestellt«, Anlass für die Mitarbeiter im
Gesundheitsladen, sich und der Öffentlichkeit Fragen zu stellen: Was passiert
bei der Pränataldiagnostik, droht eine Vermarktung des Lebens durch
Patentierung?
Geld immer wieder ein Problem
In
diesen Jahren, eigentlich bis in die Gegenwart war die finanzielle Situation
des Gesundheitsladens wackelig, in neudeutsch prekarisiert. Die Stadt
verweigerte eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, also praktisch eine vom
Arbeitsamt bezahlte Stelle. Erst nach einer Klage vor Gericht wurde der
Gesundheitsladen 1987 als Träger von ABM-Stellen anerkannt. Die Mitarbeiter
gingen dann daran, im Gesundheitsladen eine unabhängige PatientInnenstelle
einzurichten. Bis heute bietet sie Ratsuchenden eine Informations-, Beratungs-
und Beschwerdemöglichkeit.
1990
wurde die bundesweite Vernetzung institutionalisiert: Die
Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen gründete sich als
Austauschort und Plattform für gemeinsame gesundheitspolitische Aktivitäten.
Eine der beiden SprecherInnen der Bundesarbeitsgemeinschaft ist heute Judith
Storf aus Bielefeld, zugleich Beraterin im Gesundheitsladen.
Von
dem Netzwerk profitiert der Gesundheitsladen, der seit 1996 im Umweltzentrum
untergekommen ist, bis heute. Von Mitte 2001 bis Mitte 2005 nahm die
PatientInnenstelle im Gesundheitsladen am bundesweiten Modellprojekt
»Unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung« teil. Dies bedeutete mehr
Personal, entsprechend stiegen die Beratungen um 40 Prozent. Ab Mitte 2005
waren die Mitarbeiter des Gesundheitsladens offiziell arbeitslos nicht zum
ersten Mal. Die Arbeit wurde durch ehrenamtliches Engagement aufrecht erhalten.
Seit April ist ein neues bundesweites Modellprojekt zur unabhängigen
Patientenberatung gestartet, an dem bundesweit 22 Beratungsstellen teilnehmen.
Es läuft bis 2010, also ist die Finanzierung für die kommenden vier Jahre erst
mal gesichert. Das Geld dafür kommt, so sieht es der Gesetzgeber vor, aus einer
Umlage von den Krankenkassen.
Gesundheitsreform wirft Fragen auf
Ein
großes Thema der nächsten Zeit wird die Gesundheitsreform sein. Es ist nicht
die erste, und aus Erfahrung weiß Hölling, das solche gesetzlichen Änderungen
ein halbes Jahr »Nachlauf« haben, in denen verstärkt Anfragen von Bürgern
eintreffen, die sich neu orientieren müssen: Im Mittelpunkt steht dabei, welche
Leistungen noch bezahlt werden. Viele melden sich inzwischen auch bei der
PatientInnenstelle, weil sie Stress mit privaten Leistungsabrechnungen der
Ärzte haben. Ein Dauerthema ist die Suche nach dem richtigen Arzt. Die Antwort
darauf fällt den BeraterInnen im Gesundheitsladen schwer. Zwar gibt es Listen,
die auf Erfahrungswerte aufbauen. Doch die Daten sind nicht systematisch.
Welcher Arzt verrät schon, ob die Behandlung erfolgreich war. »Und was ist ein
halbes Jahr später, gilt das dann immer noch«, fragt Hölling. Qualitätsdaten
zusammenzubringen, ist nun auch eine Aufgabe im Rahmen des neuen
Modellprojektes.
Mehr
Informationen unter: www.gesundheits.de/gl-bielefeld
Der
Gesundheitsladen freut sich über Spenden.
Am 25. Oktober findet in Gütersloh, Städtisches Klinikum, Reckenberger Straße 19, eine Podiumsdiskussion zum Thema Gesundheitsreform und die Folgen statt. Sie beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Diskutanten sind unter anderem Günter Hölling und Johannes Kramer, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken Bielefeld. Veranstalter ist der WDR, die Diskussion wird am 30. Oktober 2006 um 21.05 Uhr auf WDR 5 gesendet.