Webwecker Bielefeld: 25 Jahre und kein bißchen leise (25.10.2006)

25 Jahre und kein bißchen leise (25.10.2006)



Beraten in Sachen Gesundheit (v.l.n.r.) Silke Kavallus, Günter Hölling, Judith Storf


Von Manfred Horn

25 Jahre Jubiläum des Gesundheitsladens – zurückgerechnet landet man im Jahr 1981 und damit fast schon auf einem anderen Planeten. In der Bundesrepublik nahm eine Gesundheitsbewegung Form an, als Reaktion auf ein paternalistisches Gesundheitssystem mit den Göttern in Weiß an der Spitze. Vorausgegangen war 1980 der erste Gesundheitstag in West-Berlin. 10.000 Menschen nahmen teil, in der Folge entstanden in vielen Großstädten Gesundheitsläden.

Heute hat sich die Bewegung eingerichtet, wenn auch nicht besonders komfortabel, weil ständig Geldnot herrscht. Die BIKIS als Bielefelder Netzwerk kennt inzwischen über 250 Selbsthilfegruppen, die alle irgendetwas mit Gesundheit zu tun haben. Und der Gesundheitsladen existiert vor allem als PatientInnenstelle.

 

Positive Bilanz

Günter Hölling, einer der Mitarbeiter des Gesundheitsladens, sieht im Rückblick durchaus Erfolge: Ärzte orientierten sich heute im Grundsatz stärker an den Interessen der Patienten: »Der Komisston in der Praxis gehört weitestgehend der Vergangenheit an«, sagt Hölling. Und dort, wo er vom Arzt noch gepflegt wird, scheinen die Patienten ihn offenbar nötig zu haben. Denn die Konkurrenz wächst. Ein Wechsel zu einem kommunikativeren Arzt ist meistens leicht. Die Veränderung, ergänzt Hölling, sei auch bei der Geburtshilfe in den Kliniken sichtbar. Dort werde längst viel stärker auf die Wünsche der gebärenden Frauen eingegangen.

Zugleich, und das merkt Hölling kritisch an, würden die Mechanismen subtiler. »Viele Leistungen sind aus der Kasse raus«, der Patient müsse schauen, welche zusätzlichen Angebote der Ärzte er tatsächlich brauche. Aus dem Arzt-Patient-Verhältnis wird zunehmend auch ein Verkäufer-Kunden-Verhältnis. Wer etwas verkaufen will, kann sich Unfreundlichkeit nicht mehr leisten.

In der Gründungsphase des Gesundheitsladens gab es, wie damals in der alternativen Szene üblich, lange Plena. Diskutiert wurde viel, aber eben auch zusammen gekocht und manchmal auch gewandert. Die Themenpalette reichte damals von Selbsthilfe über alternative Heilformen bis hin zur Antipsychatrie.

Die ersten Räumlichkeiten lagen in der Webereistraße, 1986 dann kam der Gesundheitsladen in der Meller Straße an. Auf das rote Sofa wurden Gäste zum Vortrag und zur Debatte geladen. Von den in der Gründungsphase entstandenen Gruppen hatten sich bereits einige aufgelöst, andere im Laufe der Jahre verselbstständigt. So entstand auch die BIKIS, heute das größte Selbsthilfenetzwerk der Stadt, im Gesundheitsladen und machte sich dann eigenständig.

Als eine stabile Arbeitsgruppe gründete sich 1988 dann die AG Bio- und Gentechnologie. Sie beschäftigte sich mit der roten Gentechnologie in der Medizin und der grünen in Nahrungsmitteln. Damals wurden in der Klinik Rosenhöhe gerade die ersten Retortenbabys »hergestellt«, Anlass für die Mitarbeiter im Gesundheitsladen, sich und der Öffentlichkeit Fragen zu stellen: Was passiert bei der Pränataldiagnostik, droht eine Vermarktung des Lebens durch Patentierung?


Geld immer wieder ein Problem

In diesen Jahren, eigentlich bis in die Gegenwart war die finanzielle Situation des Gesundheitsladens wackelig, in neudeutsch prekarisiert. Die Stadt verweigerte eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, also praktisch eine vom Arbeitsamt bezahlte Stelle. Erst nach einer Klage vor Gericht wurde der Gesundheitsladen 1987 als Träger von ABM-Stellen anerkannt. Die Mitarbeiter gingen dann daran, im Gesundheitsladen eine unabhängige PatientInnenstelle einzurichten. Bis heute bietet sie Ratsuchenden eine Informations-, Beratungs- und Beschwerdemöglichkeit.

1990 wurde die bundesweite Vernetzung institutionalisiert: Die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen gründete sich als Austauschort und Plattform für gemeinsame gesundheitspolitische Aktivitäten. Eine der beiden SprecherInnen der Bundesarbeitsgemeinschaft ist heute Judith Storf aus Bielefeld, zugleich Beraterin im Gesundheitsladen.

Von dem Netzwerk profitiert der Gesundheitsladen, der seit 1996 im Umweltzentrum untergekommen ist, bis heute. Von Mitte 2001 bis Mitte 2005 nahm die PatientInnenstelle im Gesundheitsladen am bundesweiten Modellprojekt »Unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung« teil. Dies bedeutete mehr Personal, entsprechend stiegen die Beratungen um 40 Prozent. Ab Mitte 2005 waren die Mitarbeiter des Gesundheitsladens offiziell arbeitslos – nicht zum ersten Mal. Die Arbeit wurde durch ehrenamtliches Engagement aufrecht erhalten. Seit April ist ein neues bundesweites Modellprojekt zur unabhängigen Patientenberatung gestartet, an dem bundesweit 22 Beratungsstellen teilnehmen. Es läuft bis 2010, also ist die Finanzierung für die kommenden vier Jahre erst mal gesichert. Das Geld dafür kommt, so sieht es der Gesetzgeber vor, aus einer Umlage von den Krankenkassen.


Gesundheitsreform wirft Fragen auf

Ein großes Thema der nächsten Zeit wird die Gesundheitsreform sein. Es ist nicht die erste, und aus Erfahrung weiß Hölling, das solche gesetzlichen Änderungen ein halbes Jahr »Nachlauf« haben, in denen verstärkt Anfragen von Bürgern eintreffen, die sich neu orientieren müssen: Im Mittelpunkt steht dabei, welche Leistungen noch bezahlt werden. Viele melden sich inzwischen auch bei der PatientInnenstelle, weil sie Stress mit privaten Leistungsabrechnungen der Ärzte haben. Ein Dauerthema ist die Suche nach dem richtigen Arzt. Die Antwort darauf fällt den BeraterInnen im Gesundheitsladen schwer. Zwar gibt es Listen, die auf Erfahrungswerte aufbauen. Doch die Daten sind nicht systematisch. Welcher Arzt verrät schon, ob die Behandlung erfolgreich war. »Und was ist ein halbes Jahr später, gilt das dann immer noch«, fragt Hölling. Qualitätsdaten zusammenzubringen, ist nun auch eine Aufgabe im Rahmen des neuen Modellprojektes.

 

Mehr Informationen unter: www.gesundheits.de/gl-bielefeld
Der Gesundheitsladen freut sich über Spenden.

Am 25. Oktober findet in Gütersloh, Städtisches Klinikum, Reckenberger Straße 19, eine Podiumsdiskussion zum Thema Gesundheitsreform und die Folgen statt. Sie beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Diskutanten sind unter anderem Günter Hölling und Johannes Kramer, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken Bielefeld. Veranstalter ist der WDR, die Diskussion wird am 30. Oktober 2006 um 21.05 Uhr auf WDR 5 gesendet.