Webwecker Bielefeld: Zwiegespräch mit einem Toten (18.10.2006)

Zwiegespräch mit einem Toten (18.10.2006)



Überzeugende Darstellung: Ulrike Winkelmann und Martin Neumann

Von Manfred Horn

Ronald Akkerman ist wieder da. Achtzehn Monate hat Judith Ronald gepflegt, bis der den Freitod wählte. Er wollte nicht mehr leben, mit oder in einem Körper, der von AIDS geschwächt war. Dann, am Tag seiner Beerdigung, steht er mitten im Zimmer von Judith. Eine Erscheinung, die Kaffee kochen und rauchen kann. Sie wollte gerade seine Krankenakte schließen und vermerkte: »Am 6.Mai 1994 ist Ronald Akkerman, 34 Jahre alt, an den Folgen von Aids gestorben«.

Mit dem Kunstgriff einer Revitalisierung des Toten gelingt es der Autorin des Dossiers, der Niederländerin Suzanne von Lohuizen, die beiden Figuren in eine ganz neue Beziehung zu setzen. Jetzt, wo es um nichts mehr geht, können sie endlich miteinander sprechen. Sie blicken gemeinsam zurück auf diese 18 Monate, in denen die Krankenschwester bei Ronald ein und aus geht. Damals hat sie nicht viel von ihm verstanden, hat seine Abneigung gesehen, aber trotzdem angefangen ihn zu lieben. Nun, in dem seltsamen Zwischenraum zwischen Leben und Tod, kann sie Ronald ihre Liebe mitteilen, weil es keine Folgen mehr hat. Ronald kann als Wesen zwischen den Welten zurückblicken, eine Zukunft hat er nicht.


Nüchtern und klar erzählt

»Dossier: Ronald Akkerman« ist kein Kitsch, geküsst wird hier nicht. Auch die Moral der Geschichte sucht der Zuschauer vergeblich. Es ist vielmehr der Rapport einer gescheiterten Beziehung unter extremen Bedingungen, sachlich, nüchtern und klar erzählt. Es ist eine Geschichte über Verwicklungen, die entstehen können, wenn sich zwei Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis nahe kommen: Dort die professionelle Pflegerin, hier der AIDS-Kranke, der auf Hilfe angewiesen ist. Ein solches Drama auf die Bühne zu stellen, ist ein Wagnis. Hans-Peter Krüger, Regisseur des Stücks, entschied sich für eine simple Variante, die nicht die einfachste ist: Er verzichtet auf Effekte und übermäßige Bewegung. Die sollen die beiden Darsteller, Martin Neumann und Ulrike Winkelmann erzeugen. Sie müssen die stille Spannung halten, müssen einer Menge Text mit minimalen Möglichkeiten Ausdruck geben. Dies gelingt, weil die Dramatik im feinen Minenspiel und überzeugender Sprechweise deutlich wird.

Akkerman, der aus dem Dossier hervorspringt und der eigentlich nicht sterben wollte, hat geschafft, wovon er vor seinem Tod träumte. Sich unsterblich machen, im Geist eines anderen Menschen weiterleben. Judith will ihn vergessen, doch es gelingt ihr nicht. In der Trauer bekommen Dinge eine Gestalt. So werden aus Zuschauern Akteure: Ronald, der seine ganze Krankheit mit all ihren immer schlimmer werden Ausbrüchen wie ein Film erlebte, also Zuschauer seiner selbst war, und Judith, die Ronald zwar als Krankenschwester stützen konnte, dennoch Zuschauerin blieb, weil sie weder die Gefühle Ronalds verstehen noch ihre eigenen offenbaren konnte.


Ein Theater zur rechten Zeit

Das Stück von Suzanne Lohuizen kommt dabei zur rechten Zeit: Denn die Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland steigt wieder, die Gefahr von AIDS wird nicht mehr so groß eingeschätzt. Viele halten AIDS inzwischen für überlebbar. Doch die Krankheit verläuft immer noch tödlich, auch wenn durch verbesserte Behandlung der Zeitpunkt des Todes deutlich nach hinten verschoben wurde. AIDS ist ein Urteil, dass über allem schwebt. Dies macht das Stück eindringlich klar.

Dass Lohuizen Ronald schließlich Sterbehilfe in Anspruch nehmen lässt, ist allerdings erklärungsbedürftig. Die Niederländerin ging dabei von den Verhältnissen in ihrem Land aus – dort ist Sterbehilfe weitestgehend legitimiert. In Deutschland ist die Situation anders. Lohuizen kommentiert die Entscheidung nicht, als Ronald die Ärztin anruft und sie um Sterbehilfe bittet. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich die rund 70-minütige Inszenierung des Forums für Kreativität und Kommunikation ansehen. Es lohnt sich.

 

Weitere Aufführung mit Unterstützung der Bielefelder AIDS-Hilfe: Donnerstag, 30. November, JZ Kamp, 20 Uhr. Anschließend ist das Stück bundesweit buchbar. Kontakt: Forum für Kreativität und Kommunikation, www.forum-info.de