Von Manfred Horn
Ronald Akkerman ist wieder da. Achtzehn Monate hat Judith
Ronald gepflegt, bis der den Freitod wählte. Er wollte nicht mehr leben, mit
oder in einem Körper, der von AIDS geschwächt war. Dann, am Tag seiner
Beerdigung, steht er mitten im Zimmer von Judith. Eine Erscheinung, die Kaffee
kochen und rauchen kann. Sie wollte gerade seine Krankenakte schließen und
vermerkte: »Am 6.Mai 1994 ist Ronald Akkerman, 34 Jahre alt, an den Folgen von
Aids gestorben«.
Mit dem Kunstgriff einer Revitalisierung des Toten gelingt
es der Autorin des Dossiers, der Niederländerin Suzanne von Lohuizen, die
beiden Figuren in eine ganz neue Beziehung zu setzen. Jetzt, wo es um nichts
mehr geht, können sie endlich miteinander sprechen. Sie blicken gemeinsam
zurück auf diese 18 Monate, in denen die Krankenschwester bei Ronald ein und
aus geht. Damals hat sie nicht viel von ihm verstanden, hat seine Abneigung
gesehen, aber trotzdem angefangen ihn zu lieben. Nun, in dem seltsamen
Zwischenraum zwischen Leben und Tod, kann sie Ronald ihre Liebe mitteilen, weil
es keine Folgen mehr hat. Ronald kann als Wesen zwischen den Welten
zurückblicken, eine Zukunft hat er nicht.
Nüchtern und klar erzählt
»Dossier: Ronald Akkerman« ist kein Kitsch, geküsst wird
hier nicht. Auch die Moral der Geschichte sucht der Zuschauer vergeblich. Es
ist vielmehr der Rapport einer gescheiterten Beziehung unter extremen
Bedingungen, sachlich, nüchtern und klar erzählt. Es ist eine Geschichte über
Verwicklungen, die entstehen können, wenn sich zwei Menschen in einem
Abhängigkeitsverhältnis nahe kommen: Dort die professionelle Pflegerin, hier
der AIDS-Kranke, der auf Hilfe angewiesen ist. Ein solches Drama auf die Bühne
zu stellen, ist ein Wagnis. Hans-Peter Krüger, Regisseur des Stücks, entschied
sich für eine simple Variante, die nicht die einfachste ist: Er verzichtet auf
Effekte und übermäßige Bewegung. Die sollen die beiden Darsteller, Martin
Neumann und Ulrike Winkelmann erzeugen. Sie müssen die stille Spannung halten,
müssen einer Menge Text mit minimalen Möglichkeiten Ausdruck geben. Dies
gelingt, weil die Dramatik im feinen Minenspiel und überzeugender Sprechweise
deutlich wird.
Akkerman, der aus dem Dossier hervorspringt und der
eigentlich nicht sterben wollte, hat geschafft, wovon er vor seinem Tod
träumte. Sich unsterblich machen, im Geist eines anderen Menschen weiterleben.
Judith will ihn vergessen, doch es gelingt ihr nicht. In der Trauer bekommen
Dinge eine Gestalt. So werden aus Zuschauern Akteure: Ronald, der seine ganze
Krankheit mit all ihren immer schlimmer werden Ausbrüchen wie ein Film erlebte,
also Zuschauer seiner selbst war, und Judith, die Ronald zwar als
Krankenschwester stützen konnte, dennoch Zuschauerin blieb, weil sie weder die
Gefühle Ronalds verstehen noch ihre eigenen offenbaren konnte.
Ein Theater zur rechten Zeit
Das Stück von Suzanne Lohuizen kommt dabei zur rechten Zeit:
Denn die Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland steigt wieder, die Gefahr von
AIDS wird nicht mehr so groß eingeschätzt. Viele halten AIDS inzwischen für
überlebbar. Doch die Krankheit verläuft immer noch tödlich, auch wenn durch
verbesserte Behandlung der Zeitpunkt des Todes deutlich nach hinten verschoben
wurde. AIDS ist ein Urteil, dass über allem schwebt. Dies macht das Stück
eindringlich klar.
Dass Lohuizen Ronald schließlich Sterbehilfe in Anspruch
nehmen lässt, ist allerdings erklärungsbedürftig. Die Niederländerin ging dabei
von den Verhältnissen in ihrem Land aus dort ist Sterbehilfe weitestgehend
legitimiert. In Deutschland ist die Situation anders. Lohuizen kommentiert die
Entscheidung nicht, als Ronald die Ärztin anruft und sie um Sterbehilfe bittet.
Wer die Möglichkeit hat, sollte sich die rund 70-minütige Inszenierung des
Forums für Kreativität und Kommunikation ansehen. Es lohnt sich.
Weitere Aufführung mit Unterstützung der
Bielefelder AIDS-Hilfe: Donnerstag, 30. November, JZ Kamp, 20 Uhr. Anschließend
ist das Stück bundesweit buchbar. Kontakt: Forum für Kreativität und
Kommunikation, www.forum-info.de