Webwecker Bielefeld: Professoren peitschen Studiengebühren durch (02.08.2006)

Professoren peitschen Studiengebühren durch (02.08.2006)






Ende der Diskussion: Der Sitzungssaal, in dem Studiengebühren beschlossen wurden, glich einen Hochsicherheitssaal



Kurz vor Ende der Vorlesungszeit beschloss der Senat der Universität Bielefeld die Einführung von Studiengebühren. Aus Angst vor Tumulten lehnten die Professoren im Senat es ab, die entscheidende Sitzung in einen größeren Raum als den Senatssaal zu verlegen. Tumulte rund um die Sitzung gab es dennoch. Der Ärger mit den Gebühren dürfte für die Hochschulleitung noch nicht vorbei sein, Studierendenvertreter haben angekündigt gegen den Beschluss zu klagen. Denn zwei studentische Senatoren wurden an der Teilnahme an der entscheidenden Sitzung gehindert.


Von Mario A. Sarcletti

Der Bauteil, in dem sich der Sitzungssaal des Senats der Universität Bielefeld befindet, glich am 12. Juli einem Hochsicherheitstrakt: Vierzig Wachleute verperrten die Zugänge, zusätzlich waren alle Türen verriegelt, viele mit Ketten und Vorhängeschlössern gesichert. Da die Sitzungen öffentlich sein müssen, erhielten 19 Studierende Eintrittskarten. Dass diese Karten rot waren, hatte ebenso etwas Symbolisches an sich wie die Tatsache, dass es sich bei den Sesam-öffne-dich-Kärtchen um ein Gewinnspiel der abgelaufenen Veranstaltungsreihe »Kopfball« handelt. »Vielleicht kann man damit ja ein Freisemester gewinnen«, flachste ein Student. Mehr als einhundert Studierende mussten draußen bleiben. Dagegen protestierten diese ebenso lautstark wie gegen die Einführung von allgemeinen Studiengebühren von 500 Euro pro Semester an der Universität Bielefeld.

Die Angst der Professoren vor den Studierenden war so groß, dass die, die bereits drin waren, auch drin bleiben mussten. Denn als einige Studierende den Trakt während nicht-öffentlicher Beratungen über Personalfragen für etwa eine Stunde verlassen wollten, erfuhren sie, dass sie dann nicht wieder eingelassen würden. Für Empörung unter ihnen sorgte auch, dass sämtliche Fluchtwege verriegelt waren. »Was ist denn, wenn hier ein Feuer ausbricht«, fragte einer erregt. An den Türen würden ja Leute stehen, die dann aufschließen könnten, beruhigte eine Mitarbeiterin der Verwaltung. Ob dies Brandschutzbestimmungen genügt, ist allerdings äußerst fraglich.

Die Angst der Professoren vor protestierenden Studierenden kommt wohl von der Sentatssitzung Anfang Februar, als das höchste Gremium der Universität die Weichen für das Ende des gebührenfreien Studiums an der Universität stellte. Damals hatte die Sitzung auf Wunsch der Studierendenvertreter noch im Audi Max stattgefunden. Etwa dreitausend Studierende hatten dabei ihr Missfallen lautstark bekundet. Dass eine Diskussion im Audi Max nicht möglich sei, wie ein Professor am 12. Juli die Ablehnung eines Antrags auf neuerlichen Umzug begründete, ist allerdings nicht richtig. Die Kontroverse am 2. Februar im Audi Max war wohl eine der spannendsten in der Geschichte der Universität.

»Über den Antrag für die heutige Sitzung erneut ins Audi Max zu gehen, ist nie abgestimmt worden«, beschwerte sich die AStA-Vorsitzende Inga Müller. Wie Studierendenvertreter berichten, haben die Professoren in ihrer Statusgruppe entschieden, nur eine sehr begrenzte Öffentlichkeit zur Sitzung zuzulassen. Statt von Angesicht zu Angesicht mit möglicherweise wütenden Studierenden ihre Position zu vertreten, beschlossen sie, die Sitzung per Videokonferenz in die Unihalle zu übertragen. »Die Übertragung war aber so schlecht, dass man keine Gesichter erkennen und auch die Stimmen nicht zuordnen konnte«, kritisiert ein Studierender, der sich die Übertragung angesehen hat. Wohl kein Zufall, der Senatsvorsitzende untersagte auch dem Campusradio Hertz 87,9, die Sitzung zu übertragen. Schließlich sei nach der Sitzung im Senat ein Video der Sitzung in der Uni-Halle gezeigt worden. Gegenüber einem Radiosender eine etwas seltsame Begründung.

Studentische Senatoren ausgesperrt

Die Sitzung begann verspätet, weil viele Senatoren Schwierigkeiten hatten, zum Senatssaal zu gelangen. Vor den versperrten Zugängen hatten sich aufgebrachte Studierende versammelt, die »Wir wollen rein« skandierten. Kamen sie aber nicht und das galt auch für die studentischen Senatoren Ingo Bowitz und Martin Isbruch. »Erst wurden wir von den Prodiac-Leuten nicht durchgelassen«, berichtete Ingo Bowitz später. »Dann hat die Verwaltung versucht uns durchzuschleusen. Da wollten aber auch so dreißig bis vierzig Leute mit, das hat die Verwaltung abgelehnt«, erläutert Bowitz, warum er und Martin Isbruch nicht an der entscheidenden Sitzung teilnehmen konnten.

Der entscheidende Tagesordnungspunkt wurde schließlich um 10:54 aufgerufen. Janosch Stratemann trat vor eine der beiden stationären Videokameras und begrüßte die Studierenden in der Halle. »Es ist wichtig, dass auch studentische Stimmen heute gehört werden, deshalb wäre es gut, wen ihr die studentischen Senatoren jetzt hochlasst«, erklärte er seinen Kommilitonen. Die hatten auch nichts dagegen, dass Ingo Bowitz und Martin Isbruch an der Sitzung teilnehmen, wollten aber eben mitkommen. Der Technische Direktor der Universität, Christian Schepers, und Justiziar Ulrich Körber, versuchten zu vermitteln. Immer wieder kamen die beiden in den Senatssaal und tuschelten mit Kanzler Hans-Jürgen Simm. Auch der konnte das Problem nicht lösen, sodass Diskussion und Abstimmung über die Zukunft der Studierenden an der Universität ohne zwei ihrer Vertreter im Senat stattfand.

Eine richtige Diskussion kam so aber gar nicht zustande. Stattdessen berichtete der Prorektor für Lehre, Gerhard Sagerer, über die Einigung der Kommission für Studium und Lehre über die letzten offenen Punkte der Satzung, die der Senatsvorsitzende Neithard Bulst als »die sozialverträglichste in NRW« bezeichnete. Tatsächlich enthält die Bielefelder Satzung gegenüber anderen im Land weitergehende Schutzklauseln für studentische Eltern, bereits eingeschriebene und ausländische Studierende, und solche die kurz vor dem Abschluss stehen und kein Darlehen mehr bekommen, weil sie die Regelstudienzeit um das anderthalbfache überschritten haben (WebWecker berichtete).

Auch Sagerer lobte die Satzung, die die Kommission in mehr als dreißig Sitzungsstunden erarbeitet hat als »ein Papier, das sich sehen lassen kann.« Er bat ebenso wie Bulst darum, das Paket nicht wieder aufzuschnüren. Über die bereits vorgestellten Regelungen hinaus gebe es jetzt für die Mitarbeit in Gremien mindestens vier »beitragsfreie« Semester, maximal wird dafür das anderthalbfache der Regelstudienzeit plus zwei Semester freigestellt. Für den Bachelorstudiengang bedeutet dies zwölf Semester. Außerdem sieht der Entwurf vor, dass das Gremium, das über die Verwendung der Einnahmen entscheidet, zu gleichen Teilen mit Studierenden und Lehrenden besetzt sein soll. Sagerer nannte das Papier »einen Kompromiss in vielen Punkten«.


Senatsvorsitzender drohte mit Ausschluss der Öffenlichkeit

Der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann legte Wert auf die Feststellung, dass es sich um einen Kompromiss in der Kommission, aber nicht zwischen den Statusgruppen handle. Er monierte zudem, dass ihm die Unterlagen für die Sitzung erst zwei Tage zuvor zugegangen seien. »Das ist ein Skandal«, empörte er sich. Als die 19 Zuhörer, die bereits zuvor einige Zwischenrufe abgegeben hatten, dies mit lautem Beifall quittierten, drohte Neithard Bulst die Öffentlichkeit auszuschließen.

Die Redebeiträge zum Thema waren aber akustisch nur sehr schwer verständlich, da vor dem Bauteil Studierende mit Tröten, Trommeln und Trillerpfeifen einen Höllenlärm veranstalteten. Zwischendurch klatschten auch Eier und andere Gegenstände gegen die verschlossenen Jalousien des Senatssaals. Als plötzlich ein Unimitarbeiter in den Raum stürmte und rief, dass die Protestierenden planten, die Ketten an den Zugangstüren mit Bolzenschneidern zu sprengen, riet Neithard Bulst, die Polizei zu rufen um die Sitzung zu schützen. Alle Professoren stimmten dem per Handzeichen zu. Die Ordnungshüter ließen sich allerdings auf dem Campus nicht blicken.

Als es vor den Fenstern immer lauter wurde, stellte Senator Professor Ulrich Heinzmann, der auch Mitglied der Kommission für Studium und Lehre ist, eilig den Antrag auf Abstimmung. Janosch Stratemann wies in einer Gegenrede darauf hin, dass dem Senat noch fünf Änderungsanträge von Ingo Bowitz und Martin Isbruch vorlägen. Dafür, dass Bowitz als Mitglied der Kommission für Studium und Lehre jetzt noch Änderungsanträge, habe er kein Verständnis, sagte daraufhin Heinzmann. Janosch Stratemann wies jedoch darauf hin, dass die Rolle eines Kommissionsmitglieds eine andere sei, als die eines Senators.

Neithard Bulst musste schließlich anerkennen, dass erst über Änderungsanträge und dann über eine Satzung abgestimmt werden muss. Dass die beiden Antragsteller allerdings noch immer nicht in den Saal gelangen und dort ihre Anträge begründen konnten, führte zu der skurrilen Situation, dass professorale Senatoren versuchten, studentische Anträge zu interpretieren. So sagte Heinzmann zu einem Antrag von Ingo Bowitz zu Freisemestern für Gremientätigkeit: »Den jetzigen Vorschlag lese ich jetzt so, dass ohne Beschränkung Freisemester gewährt werden«. Er las wohl richtig, entsprechend wurde der Antrag abgelehnt.

Zwei Anträgen von Martin Isbruch stimmte der Senat schnell zu. Ein weiterer gehöre nicht in die Satzung, sondern könne als Resolution verabschiedet werden, schlug Ulrich Heinzmann mit den Worten vor: »Da der Antragsteller nicht da ist, halte ich gleich mal die Gegenrede«. Dass der Antragsteller eben nicht da war, nahm Janosch Stratemann zum Anlass per Geschäftsordnungsantrag die Vertagung der Abstimmung zu beantragen. »Falls sie dennoch über die Satzung abstimmen, behalten wir uns rechtliche Schritte vor«, machte er den Senatoren klar.


»Sie sind auf dem Flur«

In dem Moment stürzte der Technische Direktor Christian Schepers in den Raum und rief aufgeregt: »Sie sind auf dem Flur«. »Ich bitte um Abstimmung«, schrie daraufhin der Senatsvorsitzende. »Sie« waren nämlich etwa 20 Studierende, die durch ein offenes Fenster in ein Büro im Rektoratsflur geklettert waren. Die Bürotür war zwar abgeschlossen, als aber die Prodiac-Mitarbeiter Stimmen aus dem Raum hörten, schlossen sie die Tür auf und die Protestierenden stürmten in den Flur. Und während die sich ein Gerangel mit den Wachleuten lieferten, machte die studentische Öffentlichkeit im Senatssaal Lärm.

In diesem Tohuwabohu ließ Neithard Bulst über den Geschäftsordnungsantrag auf Vertagung abstimmen, die Professorinnen und Professoren stimmten wie erwartet dagegen. »Ich habe akustisch nicht mal verstanden, worüber abgestimmt wurde«, protestierte die studentische Senatorin Annika Mareike Kielisch vom Ring Christlich Demokratischer Studenten, aber auch ihr Protest ging in dem Chaos unter. Eilig wurde über die Beitragssatzung abgestimmt. »Wer für die Satzung ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen«, brüllte Neithard Bulst und alle Professorenhände flogen hoch, außerdem stimmten zwei weitere Senatoren für die Satzung, sechs stimmten dagegen. Bulst verkündete gegen 12.30 Uhr gerade noch das Abstimmungsergebnis, da flog die Tür auf und Studierende stürmten in den Senatssaal. »Ich erkläre die Sitzung für beendet«, konnte Neithard Bulst gerade noch rufen, bevor das Chaos losbrach.

»Ihr seid eine Minute zu spät, eine Minute«, verzweifelte einer der Studierenden, die die Sitzung verfolgen durften. Ein Eindringling rief wütend »Scheiße«, ein Dritter beschimpfte die Gebührenbefürworter als »Faschisten«. Als ein Studierender die Professoren mit dem Handy fotografierte und ankündigte die Bilder der Gebührenbefürworter ins Internet zu stellen, fordert der sichtlich erregte Rektor Dieter Timmermann die Studierenden auf, den Saal zu verlassen. »Ansonsten werden Sie hinausgetragen und erkennungsdienstlich behandelt«, drohte er.

Schließlich folgten die Studierenden der Aufforderung. Überraschend erklärte der Vorsitzende des Senats, die bereits beendete Sitzung zu unterbrechen, bis wieder Ruhe eingekehrt sei. Die folgenden Tagesordnungspunkte wurden jedoch vertagt. Denn einen hätten die Studierenden wohl als Provokation empfunden. In dem geht es um die Möglichkeit der Hochschulen kostenpflichtig Weiterbildungsstudien anzubieten, die Professoren als Nebentätigkeit durchführen und damit zusätzliche Einkünfte erzielen können. Der Tagesordnungspunkt wird wohl ebenso nach der Sommerpause verhandelt, wie ein anderer brisanter. Er betrifft das »Selbstverständnis des Senats zur Öffentlichkeit seiner Sitzung bei großem öffentlichem Interesse«.


Wer zukünftig an der Universität Bielefeld ab wann wieviel für ein Hochschulstudium bezahlen muss und wem Erleichterungen gewährt werden, hat das Rektorat hier zusammengefasst.