Ende der Diskussion: Der Sitzungssaal, in dem Studiengebühren beschlossen wurden, glich einen Hochsicherheitssaal
Kurz vor Ende der Vorlesungszeit beschloss der Senat der
Universität Bielefeld die Einführung von Studiengebühren. Aus Angst vor
Tumulten lehnten die Professoren im Senat es ab, die entscheidende
Sitzung in einen größeren Raum als den Senatssaal zu verlegen. Tumulte
rund um die Sitzung gab es dennoch. Der Ärger mit den Gebühren dürfte
für die Hochschulleitung noch nicht vorbei sein, Studierendenvertreter
haben angekündigt gegen den Beschluss zu klagen. Denn zwei studentische
Senatoren wurden an der Teilnahme an der entscheidenden Sitzung
gehindert.
Von Mario A. Sarcletti
Der Bauteil, in dem sich der Sitzungssaal des Senats der
Universität Bielefeld befindet, glich am 12. Juli einem
Hochsicherheitstrakt: Vierzig Wachleute verperrten die Zugänge,
zusätzlich waren alle Türen verriegelt, viele mit Ketten und
Vorhängeschlössern gesichert. Da die Sitzungen öffentlich sein müssen,
erhielten 19 Studierende Eintrittskarten. Dass diese Karten rot waren,
hatte ebenso etwas Symbolisches an sich wie die Tatsache, dass es sich
bei den Sesam-öffne-dich-Kärtchen um ein Gewinnspiel der abgelaufenen
Veranstaltungsreihe »Kopfball« handelt. »Vielleicht kann man damit ja
ein Freisemester gewinnen«, flachste ein Student. Mehr als einhundert
Studierende mussten draußen bleiben. Dagegen protestierten diese ebenso
lautstark wie gegen die Einführung von allgemeinen Studiengebühren von
500 Euro pro Semester an der Universität Bielefeld.
Die Angst der Professoren vor den Studierenden war so groß, dass
die, die bereits drin waren, auch drin bleiben mussten. Denn als einige
Studierende den Trakt während nicht-öffentlicher Beratungen über
Personalfragen für etwa eine Stunde verlassen wollten, erfuhren sie,
dass sie dann nicht wieder eingelassen würden. Für Empörung unter ihnen
sorgte auch, dass sämtliche Fluchtwege verriegelt waren. »Was ist denn,
wenn hier ein Feuer ausbricht«, fragte einer erregt. An den Türen
würden ja Leute stehen, die dann aufschließen könnten, beruhigte eine
Mitarbeiterin der Verwaltung. Ob dies Brandschutzbestimmungen genügt,
ist allerdings äußerst fraglich.
Die Angst der Professoren vor protestierenden Studierenden kommt
wohl von der Sentatssitzung Anfang Februar, als das höchste Gremium der
Universität die Weichen für das Ende des gebührenfreien Studiums an der
Universität stellte. Damals hatte die Sitzung auf Wunsch der
Studierendenvertreter noch im Audi Max stattgefunden. Etwa dreitausend
Studierende hatten dabei ihr Missfallen lautstark bekundet. Dass eine
Diskussion im Audi Max nicht möglich sei, wie ein Professor am 12. Juli
die Ablehnung eines Antrags auf neuerlichen Umzug begründete, ist
allerdings nicht richtig. Die Kontroverse am 2. Februar im Audi Max war
wohl eine der spannendsten in der Geschichte der Universität.
»Über den Antrag für die heutige Sitzung erneut ins Audi Max zu
gehen, ist nie abgestimmt worden«, beschwerte sich die AStA-Vorsitzende
Inga Müller. Wie Studierendenvertreter berichten, haben die Professoren
in ihrer Statusgruppe entschieden, nur eine sehr begrenzte
Öffentlichkeit zur Sitzung zuzulassen. Statt von Angesicht zu Angesicht
mit möglicherweise wütenden Studierenden ihre Position zu vertreten,
beschlossen sie, die Sitzung per Videokonferenz in die Unihalle zu
übertragen. »Die Übertragung war aber so schlecht, dass man keine
Gesichter erkennen und auch die Stimmen nicht zuordnen konnte«,
kritisiert ein Studierender, der sich die Übertragung angesehen hat.
Wohl kein Zufall, der Senatsvorsitzende untersagte auch dem Campusradio
Hertz 87,9, die Sitzung zu übertragen. Schließlich sei nach der Sitzung
im Senat ein Video der Sitzung in der Uni-Halle gezeigt worden.
Gegenüber einem Radiosender eine etwas seltsame Begründung.
Studentische Senatoren ausgesperrt
Die Sitzung begann verspätet, weil viele Senatoren Schwierigkeiten
hatten, zum Senatssaal zu gelangen. Vor den versperrten Zugängen hatten
sich aufgebrachte Studierende versammelt, die »Wir wollen rein«
skandierten. Kamen sie aber nicht und das galt auch für die
studentischen Senatoren Ingo Bowitz und Martin Isbruch. »Erst wurden
wir von den Prodiac-Leuten nicht durchgelassen«, berichtete Ingo Bowitz
später. »Dann hat die Verwaltung versucht uns durchzuschleusen. Da
wollten aber auch so dreißig bis vierzig Leute mit, das hat die
Verwaltung abgelehnt«, erläutert Bowitz, warum er und Martin Isbruch
nicht an der entscheidenden Sitzung teilnehmen konnten.
Der entscheidende Tagesordnungspunkt wurde schließlich um 10:54
aufgerufen. Janosch Stratemann trat vor eine der beiden stationären
Videokameras und begrüßte die Studierenden in der Halle. »Es ist
wichtig, dass auch studentische Stimmen heute gehört werden, deshalb
wäre es gut, wen ihr die studentischen Senatoren jetzt hochlasst«,
erklärte er seinen Kommilitonen. Die hatten auch nichts dagegen, dass
Ingo Bowitz und Martin Isbruch an der Sitzung teilnehmen, wollten aber
eben mitkommen. Der Technische Direktor der Universität, Christian
Schepers, und Justiziar Ulrich Körber, versuchten zu vermitteln. Immer
wieder kamen die beiden in den Senatssaal und tuschelten mit Kanzler
Hans-Jürgen Simm. Auch der konnte das Problem nicht lösen, sodass
Diskussion und Abstimmung über die Zukunft der Studierenden an der
Universität ohne zwei ihrer Vertreter im Senat stattfand.
Eine richtige Diskussion kam so aber gar nicht zustande.
Stattdessen berichtete der Prorektor für Lehre, Gerhard Sagerer, über
die Einigung der Kommission für Studium und Lehre über die letzten
offenen Punkte der Satzung, die der Senatsvorsitzende Neithard Bulst
als »die sozialverträglichste in NRW« bezeichnete. Tatsächlich enthält
die Bielefelder Satzung gegenüber anderen im Land weitergehende
Schutzklauseln für studentische Eltern, bereits eingeschriebene und
ausländische Studierende, und solche die kurz vor dem Abschluss stehen
und kein Darlehen mehr bekommen, weil sie die Regelstudienzeit um das
anderthalbfache überschritten haben (WebWecker berichtete).
Auch Sagerer lobte die Satzung, die die Kommission in mehr als
dreißig Sitzungsstunden erarbeitet hat als »ein Papier, das sich sehen
lassen kann.« Er bat ebenso wie Bulst darum, das Paket nicht wieder
aufzuschnüren. Über die bereits vorgestellten Regelungen hinaus gebe es
jetzt für die Mitarbeit in Gremien mindestens vier »beitragsfreie«
Semester, maximal wird dafür das anderthalbfache der Regelstudienzeit
plus zwei Semester freigestellt. Für den Bachelorstudiengang bedeutet
dies zwölf Semester. Außerdem sieht der Entwurf vor, dass das Gremium,
das über die Verwendung der Einnahmen entscheidet, zu gleichen Teilen
mit Studierenden und Lehrenden besetzt sein soll. Sagerer nannte das
Papier »einen Kompromiss in vielen Punkten«.
Senatsvorsitzender drohte mit Ausschluss der Öffenlichkeit
Der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann legte Wert auf die
Feststellung, dass es sich um einen Kompromiss in der Kommission, aber
nicht zwischen den Statusgruppen handle. Er monierte zudem, dass ihm
die Unterlagen für die Sitzung erst zwei Tage zuvor zugegangen seien.
»Das ist ein Skandal«, empörte er sich. Als die 19 Zuhörer, die bereits
zuvor einige Zwischenrufe abgegeben hatten, dies mit lautem Beifall
quittierten, drohte Neithard Bulst die Öffentlichkeit auszuschließen.
Die Redebeiträge zum Thema waren aber akustisch nur sehr schwer
verständlich, da vor dem Bauteil Studierende mit Tröten, Trommeln und
Trillerpfeifen einen Höllenlärm veranstalteten. Zwischendurch
klatschten auch Eier und andere Gegenstände gegen die verschlossenen
Jalousien des Senatssaals. Als plötzlich ein Unimitarbeiter in den Raum
stürmte und rief, dass die Protestierenden planten, die Ketten an den
Zugangstüren mit Bolzenschneidern zu sprengen, riet Neithard Bulst, die
Polizei zu rufen um die Sitzung zu schützen. Alle Professoren stimmten
dem per Handzeichen zu. Die Ordnungshüter ließen sich allerdings auf
dem Campus nicht blicken.
Als es vor den Fenstern immer lauter wurde, stellte Senator
Professor Ulrich Heinzmann, der auch Mitglied der Kommission für
Studium und Lehre ist, eilig den Antrag auf Abstimmung. Janosch
Stratemann wies in einer Gegenrede darauf hin, dass dem Senat noch fünf
Änderungsanträge von Ingo Bowitz und Martin Isbruch vorlägen. Dafür,
dass Bowitz als Mitglied der Kommission für Studium und Lehre jetzt
noch Änderungsanträge, habe er kein Verständnis, sagte daraufhin
Heinzmann. Janosch Stratemann wies jedoch darauf hin, dass die Rolle
eines Kommissionsmitglieds eine andere sei, als die eines Senators.
Neithard Bulst musste schließlich anerkennen, dass erst über
Änderungsanträge und dann über eine Satzung abgestimmt werden muss.
Dass die beiden Antragsteller allerdings noch immer nicht in den Saal
gelangen und dort ihre Anträge begründen konnten, führte zu der
skurrilen Situation, dass professorale Senatoren versuchten,
studentische Anträge zu interpretieren. So sagte Heinzmann zu einem
Antrag von Ingo Bowitz zu Freisemestern für Gremientätigkeit: »Den
jetzigen Vorschlag lese ich jetzt so, dass ohne Beschränkung
Freisemester gewährt werden«. Er las wohl richtig, entsprechend wurde
der Antrag abgelehnt.
Zwei Anträgen von Martin Isbruch stimmte der Senat schnell zu. Ein
weiterer gehöre nicht in die Satzung, sondern könne als Resolution
verabschiedet werden, schlug Ulrich Heinzmann mit den Worten vor: »Da
der Antragsteller nicht da ist, halte ich gleich mal die Gegenrede«.
Dass der Antragsteller eben nicht da war, nahm Janosch Stratemann zum
Anlass per Geschäftsordnungsantrag die Vertagung der Abstimmung zu
beantragen. »Falls sie dennoch über die Satzung abstimmen, behalten wir
uns rechtliche Schritte vor«, machte er den Senatoren klar.
»Sie sind auf dem Flur«
In dem Moment stürzte der Technische Direktor Christian Schepers in
den Raum und rief aufgeregt: »Sie sind auf dem Flur«. »Ich bitte um
Abstimmung«, schrie daraufhin der Senatsvorsitzende. »Sie« waren
nämlich etwa 20 Studierende, die durch ein offenes Fenster in ein Büro
im Rektoratsflur geklettert waren. Die Bürotür war zwar abgeschlossen,
als aber die Prodiac-Mitarbeiter Stimmen aus dem Raum hörten, schlossen
sie die Tür auf und die Protestierenden stürmten in den Flur. Und
während die sich ein Gerangel mit den Wachleuten lieferten, machte die
studentische Öffentlichkeit im Senatssaal Lärm.
In diesem Tohuwabohu ließ Neithard Bulst über den
Geschäftsordnungsantrag auf Vertagung abstimmen, die Professorinnen und
Professoren stimmten wie erwartet dagegen. »Ich habe akustisch nicht
mal verstanden, worüber abgestimmt wurde«, protestierte die
studentische Senatorin Annika Mareike Kielisch vom Ring Christlich
Demokratischer Studenten, aber auch ihr Protest ging in dem Chaos
unter. Eilig wurde über die Beitragssatzung abgestimmt. »Wer für die
Satzung ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen«, brüllte Neithard
Bulst und alle Professorenhände flogen hoch, außerdem stimmten zwei
weitere Senatoren für die Satzung, sechs stimmten dagegen. Bulst
verkündete gegen 12.30 Uhr gerade noch das Abstimmungsergebnis, da flog
die Tür auf und Studierende stürmten in den Senatssaal. »Ich erkläre
die Sitzung für beendet«, konnte Neithard Bulst gerade noch rufen,
bevor das Chaos losbrach.
»Ihr seid eine Minute zu spät, eine Minute«, verzweifelte einer der
Studierenden, die die Sitzung verfolgen durften. Ein Eindringling rief
wütend »Scheiße«, ein Dritter beschimpfte die Gebührenbefürworter als
»Faschisten«. Als ein Studierender die Professoren mit dem Handy
fotografierte und ankündigte die Bilder der Gebührenbefürworter ins
Internet zu stellen, fordert der sichtlich erregte Rektor Dieter
Timmermann die Studierenden auf, den Saal zu verlassen. »Ansonsten
werden Sie hinausgetragen und erkennungsdienstlich behandelt«, drohte
er.
Schließlich folgten die Studierenden der Aufforderung. Überraschend
erklärte der Vorsitzende des Senats, die bereits beendete Sitzung zu
unterbrechen, bis wieder Ruhe eingekehrt sei. Die folgenden
Tagesordnungspunkte wurden jedoch vertagt. Denn einen hätten die
Studierenden wohl als Provokation empfunden. In dem geht es um die
Möglichkeit der Hochschulen kostenpflichtig Weiterbildungsstudien
anzubieten, die Professoren als Nebentätigkeit durchführen und damit
zusätzliche Einkünfte erzielen können. Der Tagesordnungspunkt wird wohl
ebenso nach der Sommerpause verhandelt, wie ein anderer brisanter. Er
betrifft das »Selbstverständnis des Senats zur Öffentlichkeit seiner
Sitzung bei großem öffentlichem Interesse«.
Wer zukünftig an der Universität Bielefeld ab wann wieviel für
ein Hochschulstudium bezahlen muss und wem Erleichterungen gewährt
werden, hat das Rektorat hier zusammengefasst.