Webwecker Bielefeld: posmysz01

Ambivalenzen inklusive (14.12.2005)







Die heute 82jährige Zofia Posmysz überlebte die Lager Auschwitz und Ravensbrück. In der vergangenen Woche war sie auf Einladung der Stätte der Begegnung und eines Seminars der Universität Bielefeld zu Gast in Vlotho, um zu berichten


Von Manfred Horn

Am Mittwoch Abend war es voll im Gesamteuropäischen Studienwerk in Vlotho: Zofia Posmysz berichtete aus ihrem Leben, erzählte ihre Geschichte aus den Jahren 1942 bis 1945, die sie in Konzentrationslagern verbrachte. Eingeladen hatten das Gesamteuropäische Studienwerk, das sich um die europäische Integration besonders osteuropäischer Gesellschaften kümmert, die ebenfalls in Vlotho ansässige Weiterbildungseinrichtung ›Stätte der Begegung‹ und ein Seminar der Universität Bielefeld unter der Leitung von Bettina Dausien. Die habilitierte Pädagogin konzipierte zusammen mit Johannes Schröder von der Stätte der Begegnung das Seminar.

Dem Aufenthalt in Vlotho war eine Woche in Polen vorausgegangen. Bereits dort hatte sich im Oktober eine Gruppe aus Bielefeld, vorwiegend Pädagogik-Studierende der Universtität, mit einer Gruppe Geschichtsstudierender der Universtität Krakau getroffen. Auch da schon mit dabei: Zofia Posmysz. Die heute 82-Jährige stand Rede und Antwort, berichtete vor Ort. Denn die Begegung war von Schröder und Dausien mit viel Raum für Fragen und Dialog angelegt, um die außergewöhnliche Biographie zu erfassen und zu verstehen. Am vergangenen Sonntag dann trafen sich die Gruppen in Berlin wieder, und auch Posmysz war wieder mit dabei. Bevor in Vlotho die ganze Woche über vertiefende Interviews seitens der Studiernden geführt wurden, stand ein Besuch im Konzentrationslager Ravensbrück auf dem Programm.

»In dieser Form ist viel mehr möglich«, resümiert Dausien die zwei Wochen, »Zeitzeugen können sich mehr öffnen.« Zofia Posmysz war klar, wer ihr Gegenüber ist. Sie kannte die persönlichen Hintergründe, wusste, aus welcher Motivation heraus gefragt wurde. So sassen die Studierenden mit Aufnahmegerät, Kaffee und Keksen mit der Polin aus Warschau zusammen, fragten und erhielten Anworten, die Posmysz öffentlich nicht geäußert hätte. Ein bißchen so, als wenn die Oma den Enkeln ihre Geschichte erzählt.


Verhaftet wegen Flugblättern

Mittwoch Abend dann wurde es öffentlich. Posmysz erzählte von ihrer Verhaftung 1942 in Krakau. Sie, die Schülerin einer polnischen Schule, die im Verborgenen und verbotenerweise weiter unterrichtete, hatte Flugblätter gegen die deutschen Besatzer verteilt. Durch die geheime Schule hatte sie Kontakte zu Vertretern des nationalen Widerstands. 18 Jahre ist sie da – und vor ihr steht eine Odyssee durch Konzentrations- und Vernichtungslager. Ende Mai wird sie nach Auschwitz deportiert. Dort teilt sie die SS in ein Landwirtschaftskommando ein, sie muss am Fluss nahe des Lagers Gras mähen. Das Dickicht des Flussufers nutzt eine Frau aus ihrem Kommando zur Flucht. Zur Strafe muss die ganze Truppe fortan in Budy arbeiten, ein kleiner Ort acht Kilometer vom Stammlager entfernt.

In Budy steht eine kleine Dorfschule, die wird für die Frauen zum Wohnhaus. Es gab keine Betten, nur verfaultes Stroh oder den nackten Boden. Arbeiten mussten die Frauen von morgens 6 bis abends 6 Uhr. Im Stammlager Auschwitz hatte Posmysz noch die »Schwerarbeiterzulage« bekommen, eine zusätzliche Essensration. »In Budy herrschte schrecklicher Hunger und Terror«, erzählt Posmysz. Drei Viertel der Gefangenen kommt dort um, wer zu schwach zum Arbeiten ist, wird getötet.