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Der ganz normale Wahnsinn (10.05.2006)





Das Glück ist manchmal eine schmale Angelegenheit: Karen ist in der Höhe, erblickt aber statt der Sonne den Abgrund. Alle Fotos: Philipp Ottendörfer


Von Manfred Horn

Das Stadttheater wird amerikanisch und hat den ›letzten Yankee‹ entdeckt: Seit Ende April wird das gleichnamige Stück im Theater am Alten Markt auf die Bühne gebracht. »Der letzte Yankee« gehört zum Spätwerk von Arthur Miller, der zeitlebens den ›American Way of Life‹ im Blick hatte. 1993 schrieb er diese, wie er selbst sagte, »Komödie über eine Tragödie«. Schon Miller, der 2005 verstarb, wusste nicht genau, warum er das Stück so einordnete. Das Publikum darf im Stadttheater schmunzeln, eine Komödie jedoch sollte es nicht erwarten.

Die Bühnenbildnerin Angelika Lenz führt die Besucher auf eine überdimensionierte Coach, die einen großen Teil der Bühne ausfüllt. Eine Wohlfühlzone, die geradezu zum erholsamen Schlaf einlädt. Doch die Protagonisten finden keinen Zeit zum Nickerchen. Sie trampeln auf dem Stoff, auf dem Träume geboren werden, herum, um sich selbst zum Besten zu geben. Im Hintergrund steht ein oller Cassettenrekorder, der eine Musik von sich gibt, die auf US-Amerikaner wohl entspannend und beruhigend wirken soll.

Wer dieses Setting sieht, denkt sofort an die 1970er Jahre, als Cassettenrekorder noch adäquate Mittel der Beschallung darstellten. Beides, silbergrauer Cassettenabspieler und rosane Riesencoach, stehen in einer staatlichen Nervenheilanstalt in den USA. Auf die Bühne treten zunächst Frick und Leroy: Beide repräsentieren einen Teil von Amerika. Der eine, Frick, hat es zu etwas gebracht, ist geschäftstüchtig und -süchtig und verbringt mehr Zeit damit, seine zwölf LKW am Laufen zu halten als seine Frau. Der andere, Leroy, hat große Vorfahren. Einer von ihnen schrieb sogar an der amerikanischen Verfassung mit. Doch das interessiert Leroy wenig. Er hat sich für das Tischlerhandwerk entschieden. Bei ihm hat das Handwerk jedoch keinen goldenen Boden. Gutmensch Leroy liebt seine Arbeit mehr als sein Geschäft und nimmt ständig zu wenig Kohle von seinen Kunden.

Diese beiden nun sitzen im Wartezimmer zum Glück, das die Nervenheilanstalt herzustellen verspricht. Sie wollen ihre Frauen besuchen, die in Depression verfallen in der Klinik behandelt werden. Karen und Patricia sind sich während des Aufenthalts in der staatlichen Anstalt näher gekommen, ohne sich wirklich zu verstehen. Sie sprechen in Fragmenten, dialogisieren mit sich selbst. Karen hält sich zurück, sagt wenig und sucht Anerkennung. Patricia hingegen plappert wie ein mittlerer Wasserfall im amerikanischen Westen – und will mit ihren Worten ihrer Angst begegnen.


Ein Haufen von Angsthasen?

Miller gibt dem Zuschauer einen verführerischen Schlüssel in die Hand, sich die us-amerikanische Gesellschaft aufzuschließen. Auf einer Bühne in den USA aufgeführt, mag das Stück wie ein Spiegel der weißen US-Gesellschaft wirken. In Deutschland gespielt, trägt es Züge einer Studie. Statt zu dekonstruieren, sammeln sich im Kopf des Betrachters neue Mythen. Ohne den kulturellen Background entstehen Klischees, deren Wirklichkeitsgehalt nicht geprüft werden kann. Ist es tatsächlich so, wie vor allem Patrica und Frick vermitteln, dass die Yankees ein Haufen von Schissern sind, zu brav, um sich über irgendwas zu beklagen?