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3 von 5 Millionen (14.12.2005)





Max Grashof als »Einer«, der aus dem Koffer erzählt. Alle Fotos: Philipp Ottendörfer



Von Manfred Horn

Der Anfang verwirrt: Soll 3 von 5 Millionen das Bewusstsein wecken darüber, dass Arbeitslosigkeit schon vor über 70 Jahren ein Massenphänomen war? Dass es schon damals Verlierer gab, die sich als lebende Puppe mit künstlicher blonder Haarpracht im Schaufenster eines Friseurs verdingen? Eine dieser tragischen Geschichten zur Erbauung des Proletariats, um nach der letzten verdrückten Träne glorreich den Sozialismus aufzurufen?

Die Zuschauer im TamZwei drehen auf ihren Stühlen, quietschen, rutschen, denn sie sind in der Mitte des Raums auf Holzdrehstühlen untergebracht, wie sie geflissentliche Lehrer in den 1960er Jahren benutzt haben mögen. Sie richten ihren Blick auf einen namenlosen Erzähler, der ihnen lächelnd und schäumend, aber allen Ernstes, Ungeheuerlichen aus seinem Koffer erklärt. Dort hat er drei kleine Plastikpuppen untergebracht. Max Grashof artikuliert bravorös und lässt die Puppen tanzen. Die sind alle arbeitslos, ein Schneider, ein Schreiber und ein Schlosser. In Würzburg gibt es nichts mehr zu tun. »Ein Ziel hatten sie nicht. Arbeit gab es nirgends. Sie gingen einfach los.« Nahmen das Schiff, nach Argentinien.


Es gibt zu viel

Sie geraten in die Revolutionswirren, es fallen Schüsse, und die drei gehen zurück nach Deutschland, diesmal nach Berlin. Dort lernen sie das betteln, einer von 30 Versuchen klappt, bei schlechtem Wetter nur einer von Hundert. Es ist Wirtschaftskrise. »Der Fehler muss in der Verteilung liegen«, lässt der Namenlose den Schreiber sprechen, «Denn wir und die Millionen unseresgleichen verrecken ja nicht deshalb, weil es zu wenig gibt, sondern weil es zuviel gibt.« Das sei der Haken, an dem der Kapitalismus sich einstens aufhängen muss, fährt der Namenlose fort und zieht sich seine schwarze Mütze noch tiefer in die Stirn.

Fritz Katers Stück »3 von 5 Millionen« wurde angeregt durch Leonhard Franks Arbeitslosenroman »Von drei Millionen drei« aus dem Jahr 1932. Die Inszenierung im Bielefelder Theater nimmt den Roman, der fast in Vergessenheit gerat, mit auf, indem Max Grashof die Geschichte erzählt und zwischendurch seine Mütze kreisen lässt. Worauf einige Zuschauer tatsächlich in ihrem Portemonnaie kramen und einige Münzen in die Mütze werfen. Zwischendurch erklingt »Ein Freund, ein guter Freund, das ist das schönste, was es gibt auf der Welt«. 1930 trällerte es Heinz Rührmann in »Die Drei von der Tankstelle«.

Ein Lied, dass auch Dirk (John Wesley Zielmann), Sebi (Matthias Reiter) und Martin (Andreas Hilscher) kennen, die Figuren im zweiten Teil des Abends. Die Drehstühle quietschen wie gequälte Gummientchen, als sich das Geschehen auf die rechte Seite des Raums verlagert.

Fritz Kater, Autor des Stückes, der 2003 mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde und als einer der meistgespielten zeitgenössischen Autoren gilt, lässt fortan die Korken knallen. Wobei angemerkt werden muss, dass Alexander Hawemann, Regisseur der Bielefelder Inszenierung, eigensinnig vorgegangen ist: Anders als in der Geschichte von Kater zeigt er die historische Vorlage von Leonhard Frank in der Puppen-Kurz-Fassung auf der Bühne als ersten Teil. Dafür spart er den zweiten Teil, ein Monolog des Malers Francis Bacon, komplett aus.