Von Harald ManningaWenn es je ein Vorstadt-Idyll gab, dann hat man es hier. Schönes neues Haus mit doller Glasfront und dollem Blick auf den Waldesrand, gaaaanz liebe NachbarInnen, denen das stets breitest zur Schau gestellte Achwieschönhabenwirs-Lächeln nicht im Gesicht eingefroren ist, sondern eher schon ins Antlitz (nein, unter dem hätten wirs nicht) gemeißelt zu sein scheint, so schön hat mans. Hach, nee, entspanntere Tupper- und Dessouspartys gab es nirgends! Noch Kaffee?
So weit das Leben der Hausfrau-und-Mutter Jenny (Bibiana Beglau), die sich ansonsten rührend um ihren 7jährigen Sohn Tim (Adrian Wahlen) kümmert. Tims Vater (Dirk Borchard) dagegen ist Polizist, der gerade über einem brutalen Kindermord brütet: ein kleines Mädchen ist von einem wohl perversen Mörder mit einer Plastiktüte erstickt und im Wald zurückgelassen worden.
Tim und seine Schulkameradin Luzi spielen diese Szene im winterlichen Wald wenige hundert Meter von der Siedlung nach. Und als Mütterchen abends ihren Sohn völlig verstört im Waschkeller vorfindet, weiß sie sofort, was zu tun ist, nachdem er ihr erzählt hat, was passiert ist: »Du warst das nicht! Hörst du?!« Sagt sie ihm und schüttelt ihn dabei, bis er gar nichts mehr weiß. Und auch sonst muss mit allen Mitteln versucht werden, jeden Verdacht abzuwenden und das Idyll zu erhalten.
In diesem Film (Drehbuch: Thomas Stiller) wird das Thema »Kindsmissbrauch« mal von einer ganz andern Seite beleuchtet. Man kann nämlich Kinder auch psychisch missbrauchen. Und es sind nicht immer nur irgendwelche »bösen Onkels«, die Kinder fürs Leben zeichnen. - Kindsmissbrauch findet meist in der Familie statt. Und Mütter haben dabei ihren nicht geringen Anteil, auch wenn man ihnen das meist nicht so einfach mittels DNA-Analyse nachweisen kann. Man darf sowas halt aber eigentlich nicht so laut sagen, in unseren »emanzipierten« Zeiten, in denen »Mütter« per se (mal wieder?) immer die besseren Menschen sind. Hier ist aber mal eine Mutter schuld, und zwar wuchtig.
Insofern ein augesprochen mutiger Film, auch wenn man am Ende dann doch aus irgendwelchen dramaturgischen Gründen nicht so ganz in der eigenen Linie bleibt und aus irgendwelchen Spannungsgründen noch wen umbringen muss. Ein zusätzlicher »Unfall-Tod«, der eh nichts mehr ändern wird, also warum kommt er vor?
Egal: Ein mutiger, ein guter Film, jedenfalls inhaltlich. Bei dem die Schauspieler jedoch manchmal wohl nicht genügend Mut hatten, die »Gefühle« auch auszuspielen, z.B. bleiben die »Mutter« Bibina Beglau und auch der »Vater und Polizist« Dirk Borchardt oft hinter den Ambitionen zurück und sagen halt hie und da manchmal nur ihren Text auf, statt zu ihn spielen. Und am Ende war dieses Thema auch wohl der Regie und dem Buch etwas zu brisant, um wirklich alles rauszuholen, was in dieser Idee drin gewesen wäre. Bisschen schade. Dafür ist aber andererseits der kleine Adrian Wahlen als »Tim« nahezu großartig. Der kann weinen, wenn er beichten muss, dass es nur so eine Art hat: als hätte er »es« wirklich selber getan. Der kann böse kucken, wenn Muttern wieder mal rumlügt, und dann aber trotzdem an sich halten... Klasse!
Ein feiner Film, das. Muß man kucken, wenn er nächstes Jahr im Fernseh kommt!