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Azubis mit »Gewitter im Gehirn« (01.06.2005)





Der »Lindenhof« in Bielefeld ist das bundesweit einzige Ausbildungshotel für Menschen mit Epilepsie. 110 junge Leute werden dort derzeit unter realistischen Bedingungen im Hotelfach ausgebildet. (Foto: Susanne Freitag)

(bielefeld bewegt) Schon als kleiner Junge stand für Sven Pschebezin fest, dass er einmal Koch werden wollte. »Das liegt bei uns in der Familie. Meine Mutter ist Köchin, und meine Oma hatte ein Hotel«, erzählt der 22-Jährige. Zahlreiche Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz hat der junge Mann aus der Uckermark verschickt, doch ohne Erfolg. »Wegen meiner Krankheit wollte mich niemand einstellen«, sagt er. Sven Pschebezin leidet unter Epilepsie, einer der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Dennoch wird er in wenigen Wochen seine Ausbildung zum Koch abschließen. Absolviert hat er sie im Hotel Lindenhof in Bielefeld, dem bundesweit einzigen Ausbildungshotel für junge Menschen mit Epilepsie.

Rund 110 Jugendliche aus ganz Deutschland haben seit der Eröffnung des Hotels im Jahre 1998 im Bielefelder Lindenhof einen Beruf im Hotel- und Gaststättengewerbe erlernt. Das Hotel ist Bestandteil des Berufsbildungswerkes der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, das sich auf die Ausbildung von Epilepsiekranken in verschiedenen Berufsgruppen spezialisiert hat. »Die jungen Menschen haben in der freien Wirtschaft kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz«, weiß Jürgen Simon, Leiter des Hotels. Denn obwohl etwa ein Prozent der Deutschen unter dem »Gewitter im Gehirn« leidet, ist das Wissen über diese Krankheit gering.


Das Ziel: Ein Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft

»Die meisten Arbeitgeber schrecken davor zurück, einen Epilepsiekranken einzustellen, weil sie befürchten, dass er ständig Anfälle bekommt«, sagt Jürgen Simon. Was wenig bekannt ist: Durch eine gezielte, gut eingestellte Medikamention geht die Anfallhäufigkeit stark zurück, so dass die Betroffenen ein weitestgehend normales Leben führen können. Und so unterscheidet sich der Lindenhof mit seinen 39 Zimmern, dem schönen Restaurant im Fachwerkgebäude und dem Biergarten mitten im Grünen auf den ersten Blick nicht von anderen Hotels. Die derzeit 38 jungen Leute werden unter realistischen Bedingungen ausgebildet, denn Ziel ist es, sie für einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft fit zu machen.

»Das Problem, das die jungen Menschen mit sich herumtragen, ist zumeist nicht die Epilepsie, sondern wie ihre Mitmenschen mit dieser Erkrankung umgehen. Weil man ihnen im Elternhaus und in der Schule nie etwas zugetraut hat, haben sie starke Versagensängste. Hier im Lindenhof merken sie, was wirklich in ihnen steckt«, betont der Leiter des Hotels. Innerhalb kurzer Zeit, so hat Jürgen Simon immer wieder festgestellt, machen die Auszubildenden im Lindenhof eine positive Entwicklung durch. Sie lernen, die Epilepsie zwar als Krankheit, aber nicht als Behinderung zu empfinden. Gezielt setzen die 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hotels bei den Stärken der jungen Menschen an, denn: »Wenn man die Stärken fördert, werden die Defizite geringer.«

Dennoch muss Jürgen Simon häufig Rücksicht nehmen, etwa bei der Erstellung der Dienstpläne. So achtet er darauf, dass die Ruhezeiten strikt eingehalten werden, da zu wenig Schlaf bei Epilepsiekranken Anfälle auslösen kann. Sehr schwierig ist zudem die Zeit vor den Prüfungen: »Dann kommen oftmals wieder die alten Ängste hoch – und mit ihnen die Anfälle«. Für den angehenden Koch Sven Pschebezin ist Angst inzwischen eine Ausnahmeerscheinung geworden. Der 22-Jährige blickt optimistisch in die Zukunft – und hat dazu allen Grund. Da er sich bei einem Praktikum bestens bewährt hat, kann er nach seiner Ausbildung im Lindenhof in einem Bielefelder Ausflugslokal als Koch anfangen.


Info: Mehr zum Hotel unter www.ausbildungshotel-lindenhof-bethel.de

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