Stillen sei die beste Methode, um beim Kind Urvertrauen und bei der Mutter Nähe zum kleinen Fremdling aufzubauen. Stillen sei Praktisch: Zubereitung ist unnötig, da muss kein Wasser abgekocht, keine Flasche sterilisiert, kein Pülverchen angerührt werden. Verpackungsmüll fällt nicht an; wer stillt, leistet einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz. Stillen sorgt für Bewegungsfreiheit: Solange sich das Kind in der Nähe seiner Mutter aufhält, ist immer und überall für bestens temperierten und stets keimfreien Nachschub gesorgt. Eigentlich müssten die Einkaufsmeilen, öffentlichen Grünanlagen und Straßencafes also nur so wimmeln von stillenden Müttern. Tun sie aber nicht.
Die Macher der Website
www.babyclub.de befragten vor einigen Wochen knapp tausend Mütter, wie sie es mit dem Stillen in der Öffentlichkeit halten. Die Hälfte der Befragten gab an, selbstverständlich auch außerhalb der eigenen vier Wände zu stillen. Ein weiteres Drittel sagte »Ja, aber nur wenn es sich nicht vermeiden lässt«. Nur rund hundert Frauen gaben an, Stillen in der Öffentlichkeit unangenehm oder peinlich zu finden. »Die Hälfte ja, die Hälfte nein«, schätzt die Hebamme Christiane Schmitz, die Anfang Mai mit ihrer Kollegin Meike Görlich ein stillfreundliches Geburtshaus in Bielefeld eröffnet.
Die Bereitschaft hiesiger Mütter zum Stillen im öffentlichen Raum sei hier nicht ausgeprägter als anderswo, obwohl sie noch nichts von negativen Reaktionen gehört habe. Trotz der Still-Renaissance in den 70-er und 80-er Jahren sei Stillen immer noch nicht populär genug, was auch an der Betreuung der Mütter in den Krankenhäusern liegen könne, deren Personal zum Großteil unter Zeitdruck arbeite. Eine ambulante oder Hausgeburt und die Betreuung durch nur eine Hebamme, die die Frauen auch in den Wochen nach der Geburt begleite, ermuntere Frauen eher zum Stillen und gebe ihnen schnell die Sicherheit, dies auch in der Öffentlichkeit zu tun.
»Jetzt erst recht.«Ein bisschen komisch komme sie sich schon dabei vor, gibt eine junge Bielefelder Mutter zu. Vor einem Jahr sei es noch kein Problem gewesen. Jetzt ist ihre Tochter schon 26 Monate alt, doch sie stille sie halt weiter, weil es ihnen beiden gefalle. Neulich habe eine ältere Frau sie auf dem Spielplatz angesprochen, ob ihr Kind nicht schon zu groß sei, um gestillt zu werden. »Dieser ständige Erklärungsbedarf, der nervt ein bisschen«, sagt die 28-Jährige. Sie selbst sei nicht gestillt worden, sagt eine andere. Ihre Mutter liege ihr ständig in den Ohren, das Kind werde abhängig vom Stillen, sie solle endlich damit aufhören. »Dann halte ich ihr wieder einen Vortrag, dass Stillen bis ins dritte Lebensjahr hinein völlig normal ist, und denke, jetzt erst recht. Wenn wir Mütter nicht selbst fürs Stillen werben, gerade indem wir es in der Öffentlichkeit tun, dann wird sich dieser Quatsch nie ändern.«
Eine Dritte bestätigt: »Was zum Straßenbild gehört, was wir täglich immer wieder sehen, dass ist normal, das gehört dazu und wird nicht mehr hinterfragt. Und wenn jemand dieses Gesicht aufsetzt was du stillst noch immer?, dann bemüh ich mich, mit viel Stolz zu antworten: Ja, und ich habe vor, das noch lange zu tun.« Alle drei haben eine Stillgruppe gefunden, in der sie sich beraten lassen, sich austauschen und für die Außenwelt stärken.
Im stillfreundlichen Bielefeld haben Mütter auf jeden Fall weniger Resonanz zu befürchten als in Washington. Dort veranstalteten Mütter ein »Protest-Stillen«, nachdem eine von ihnen aus der Filiale einer Bistro-Kette flog, weil sie ihr Kind an die Brust legte. »Stillen ist zwar eine natürliche Sache. Aber auch rülpsen, furzen und in der Nase bohren sind ganz natürliche Dinge, die man anständigerweise nicht in der Öffentlichkeit macht«, kommentierten LeserInnen der Washington Post. Die Reporterin Roxanne Roberts beschimpfte die stillenden Protest-Mütter als »Busen-Nazis«, die unbescholtenen Bürgern die Kaffeepause versauten, weil sie unbedingt »alles raushängen lassen« wollten.