Webwecker Bielefeld: existenz01

Existenzminimum in der Abwärtsspirale (03.03.2004)



Die geplante Regelsatzverordnung bei der Sozialhilfe beschädigt einen Eckwert des deutschen Sozialstaats, meint eine Gruppe von Wissenschaftlern. Denn: Mit dem neuen Arbeitslosengeld II soll zum 1. Januar 2005 auch ein neues Sozialhilferecht kommen. Der WebWecker dokumentiert eine aktuelle Erklärung mehrerer WissenschaftlerInnen



Nahezu unbeachtet von Medien und Öffentlichkeit wird derzeit eine Weichenstellung zur Neubestimmung des sozialkulturellen Existenzminimums vorgenommen. Bis Anfang April 2004 soll der Bundesrat einem erst Mitte Januar von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für eine Verordnung zustimmen, mit der die Regelsätze als Teil des neuen Sozialhilferechts (Sozialgesetzbuch XII) für die Zukunft festgeschrieben werden.

Tritt der vorliegende Entwurf in Kraft, droht das Existenzminimum auf Dauer auf einem Niveau festgeschrieben zu werden, das weitreichende Folgen nicht nur für das deutsche Sozialleistungs- und Steuersystem sondern auch für die Gesamtheit der Lebensbedingungen in der Bundesrepublik haben wird.

Wie dem Ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zu entnehmen ist, hat im letzten Jahrzehnt vor dem Hintergrund einer Auseinanderentwicklung der Einkommen und Vermögen das Ausmaß der Einkommensarmut in der Bundesrepublik zugenommen. Durch das vorgesehene Bemessungssystem wird einer weiteren Verschärfung der Armutsproblematik keine wirksame Barriere entgegen gesetzt.

Die sog. Regelsätze bestimmen zusammen mit den Unterkunftskosten und etwaigen Mehrbedarfszuschlägen das Leistungsniveau in der Sozialhilfe. Grundlegende Bedeutung für das deutsche Sozialleistungs- und Steuersystem haben die Regelsätze dadurch gewonnen, dass das in ihnen betragsmäßig konkretisierte Existenzminimum zunächst vom Bundesverfassungsgericht und dann vom Gesetzgeber auch zur Festsetzung des Grundfreibetrags im Einkommens- und Lohnsteuerrecht sowie für Unterhaltsrecht und Pfändungsfreigrenzen herangezogen worden ist. Von daher ist das Regelsatzsystem heute für die Lebenslage aller Bürger - und nicht nur für die Sozialhilfeempfänger - von Bedeutung. Es bildet einen Eckwert des bundesdeutschen Sozialstaats.

Das Sozialhilfeniveau zog bislang dem Niveau der verfügbaren Haushaltseinkommen in der Bundesrepublik eine Untergrenze. Dabei können Haushalte zu geringe Verdienste sowie auch fehlende oder unzureichende Sozialleistungen durch ergänzende Sozialhilfe aufstocken. Insofern bestimmte die Sozialhilfe zugleich die Basis, auf der die deutsche Lohn- und Gehaltspyramide stand.

Ab Anfang 2005 werden nun alle Erwerbsfähigen - gleichgültig ob sie erwerbstätig oder arbeitslos sind - mit ihren Angehörigen auf die neue Grundsicherung für Arbeitsuchende des SGB II verwiesen, wenn sie einen materiellen Hilfebedarf geltend machen. Während in der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) künftig nur ein begrenzter Kreis von Leistungsempfängern verbleibt, können Langzeitarbeitslose und Niedrigverdiener als erwerbsfähige Personen künftig nur noch Ansprüche auf die neue Grundsicherung des SGB II erheben, d.h. Arbeitslosengeld II oder als Angehörige das sogenannte Sozialgeld beziehen.