Allen Beschuldigten wird vorgeworfen, dass sie Drogenhandel und konsum in der niedrigschwelligen Anlaufstelle in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße zugelassen hätten. Oberstaatsanwalt Rainer Kahnert geht in der Anklage, die er zu Prozessbeginn verliest, gar davon aus, dass Handel und Konsum von den Angeklagten gewollt worden sei. Er vermutet, dass die Angeklagten im August 1998 einen Monat nachdem die Drogenberatung die Anlaufstelle übernommen hatte Angst gehabt hätten, dass die Einrichtung von der Szene nicht angenommen würde. Die Mitarbeiter der Drogenberatung, hätten die Anlaufstelle deshalb durch Ermöglichung von Handel mit und Konsum von illegalen Drogen für die Klienten attraktiv machen wollen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. So hätte man akzeptiert, sagt Kahnert, dass die Klienten die Toiletten der Einrichtung ausschließlich aufgesucht hätten, um Drogen zu konsumieren.
Piet Schuin, der sich als erster zu den Vorwürfen äußert, bestreitet in seiner Einlassung die Vermutung, dass Handel und Konsum gewollt gewesen seien. »Das ist ein absurder Vorwurf, der ist nicht haltbar«, zeigt sich Schuin überzeugt, »dass wir im Lauf des Prozesses zeigen werden, dass er an Absurdität nicht zu überbieten ist.« Persönlich könne er kein Interesse an vermehrter Klientel haben, da er nach BAT und nicht auf Provisionsbasis bezahlt werde. Und der Verein Drogenberatung e.V. könne wirtschaftlich auch ohne die Kontakt- und Anlaufstelle existieren. Es drohe auch kein Verlust von Arbeitsplätzen, die Mitarbeiter könnten in anderen Einrichtungen eingesetzt werden. Außerdem wisse man, dass es auch immer einige Zeit dauere, bis niedrigschwellige Einrichtungen angenommen würden. Und grundsätzlich wolle man weder Drogenabhängigkeit noch Drogen, so Schuin.
Der Prozess sei ein politischer, erklärt er in seiner Einlassung. Dann klärt er das Gericht zweieinhalb Sunden lang über das Konzept der Drogenberatung für den Umgang mit den mehr als zweitausend Bielefeldern auf, die von illegalen Drogen abhängig sind. Die niedrigschwellige Anlauf- und Kontaktstelle ist nur ein Teil davon. So gibt es neben den ambulanten Einrichtungen unter anderem die Fachkliniken Casum und Loxten, die Clearingstelle, die Abhängige ins Methadonprogramm vermittelt sowie vielfältige Beratungsangebote. Insgesamt hat die Drogenberatung neunzig Mitarbeiter, nur ein kleiner Teil arbeitet in der Anlaufstelle. »Diesen Mitarbeitern wird durch den Prozess großes Unrecht angetan«, so Schuin vor Gericht.
Er bestreitet nicht, dass es in einer Einrichtung für Schwerstabhängige auch Drogen gebe. Die Hausordnung in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße machte jedoch allen Klienten klar, dass Handel und Konsum von Drogen verboten sind. Wer sich daran nicht hielt, flog raus. Trotz dieser konsequent angewandten Regel sei das Drogenproblem in einer solchen Einrichtung nicht gänzlich zu lösen, so Schuin. Das klappe ja auch nicht in den Justizvollzugsanstalten, die sehr viel strengere Kontrollen anwenden könnten als eine Drogenhilfeeinrichtung. Theoretisch seien zwar Leibesvisitationen möglich, dann würden aber die Klienten wegbleiben. »Es kann aber nicht Ziel einer niedrigschwelligen Einrichtung sein, keine Klienten zu haben«, erklärt Schuin dem Gericht. Im Übrigen habe sich auch Oberstaatsanwalt Schulze aus diesem Grund gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen.