Webwecker Bielefeld: Totgeburten

Wenn das Leben mit dem Tod beginnt



Mehr als achtzig Kinder kommen in Ostwestfalen Lippe jährlich tot zur Welt. In Bielefeld haben die Eltern wenigstens einen Trost: Sie können ihre Kinder bestatten.


Abdrücke von Händen und Füßen. Und Fotos. Mehr zeugt nicht von Helga Beckers guter Hoffnung. Die 34Jährige musste ihre Tochter Nadine vor drei Jahren im Krankenhaus Gilead tot zur Welt bringen. "Ich habe geschrieen, geweint ", erinnert sie sich. Mit der schlimmen Nachricht zerbrechen Lebensentwürfe: In der Vorfreude auf den Nachwuchs war der Name schon ausgesucht, das Kinderzimmer eingerichtet, der Erziehungsurlaub genehmigt und Zukunftspläne für die junge Familie geschmiedet.

Totgeburten - für den Gesetzgeber sind das Föten, die vor oder während der Geburt sterben und mehr als 500 Gramm wiegen. Betroffene Eltern verlieren dagegen ein Kind. Sie müssen lernen mit der Trauer zu leben und das Trauma zu verarbeiten. Aber der erste Gedanke ist meist: Kaiserschnitt und schnell vergessen. “Medizinische Gründe sprechen aber für eine Geburt”, erklärt Corinna Brase, Oberärztin der Entbindungsstation von Gilead. “Zudem ist die Geburt wichtig für die Trauerarbeit”. Noch vor zehn Jahren schafften viele Ärzte die Kinder schnell zur Seite und entsorgten sie als Klinikmüll. Auch wenn sich das geändert hat, die Geburt ist schwer genug. “Die Schmerzen auszuhalten und dann kein Kind in den Armen halten zu können, ist furchtbar”, sagt Helga Becker.

Wenigsten kennt sie die Ursache. Die Plazenta konnte das Kind nicht ausreichend versorgen. "Meist lässt sich die Ursache nicht bestimmen", erklärt Corinna Brase. Viele Frauen machten sich Vorwürfe und überlegten, ob die Einkaufstasche zu schwer oder das Bad zu heiß war - und finden keine Antwort. Zumindest Hilfe hat Helga Becker bei der Selbsthilfe-Gruppe “Regenbogen” gefunden. Dort hat sie erfahren, dass andere Betroffene schlechte Erfahrungen in Kliniken gemacht haben. “Sie sind doch noch jung”, hieß es. Oder: “Gut, dass sie schon ein Kind haben”.

Angesichts solcher Gedankenlosigkeit fordert Cornelia Melzer von “Regenbogen” Fortbildungen für Hebammen, Ärzte und Pfleger. Dabei könnten sie lernen, die Trauerarbeit zu unterstützen. Etwa indem sie die Kinder den Eltern nahe zu bringen, sie fotografieren und Abdrücke von Händen und Füßen zu nehmen. Zudem müsse der Klinikalltag auf betroffene Eltern abgestellt werden. „Sie brauchen einen festen Ansprechpartner“, sagt Cornelia Melzer. „Das ist auch im Schichtdienst von Kliniken möglich, wenn sich die Berufsgruppen vernetzen und sorgfältige Übergaben organisieren“.

Und: Die Eltern müssen über Möglichkeiten der Bestattung informiert werden. „Todgeburten gelten landesrechtlich noch nicht einmal als Leichen“, kritisiert Cornelia Melzer. „Solange das Land NRW keine verbindlichen Regelungen vorschreibt, erlässt jede Kommune eigene Regelungen“. In Bielefeld zugunsten der Eltern. Dank einer freiwilligen Vereinbarung zwischen Stadtverwaltung, Kliniken und Bestattern können auf dem Sennefriedhof Fehl- und Todgeburten anonym bestattet werden. „Das Grab als Ort der Trauer ist für viele Eltern sehr wichtig“, sagt Cornelia Melzer.

Für Helga Becker hat sich der Traum vom Kind noch erfüllt. Vor einem Jahr kam Sina zur Welt. “Von den zwei süßen Mäusen könnte ich jetzt zwei haben”, denkt Helga Becker oft. Aber: “Jedes Gespräch, jedes Weinen und jeder Gang zum Friedhof hilft, besser mit dem Tod meines Kindes umzugehen”.

Mehr Informationen unter www.initiative-regenbogen.de http:://www.geburtskanal.de