Anna Bondartschuk (unten, zweite von rechts) im Kreis anderer Zwangsarbeiterinnen aus ihrem Heimatdorf in BielefeldAls Tanja Schuh im Oktober erfuhr, dass wieder eine der ehemaligen Bielefelder ZwangsarbeiterInnen, insgesamt waren es über 16.000, gestorben war, wurde ihr klar: jetzt muss sie fahren. Da kannte sie bereits den Vorschlag von Michael Thamm. Der hatte im Juli eine Veranstaltung im Theater am alten Markt moderiert, bei der aus Briefen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen gelesen wurde. Thamm war sehr beeindruckt und schlug vor, doch in die Ukraine zu reisen.
Für ihn bei allem Stress auch ein Vergnügen, sich einem Thema und Menschen zu nähern, über das er bis zur Veranstaltung im Sommer nicht viel wusste. »Die konnten sich sehr präzise erinnern«, stellt er anerkennend fest. Eingegrabenes Wissen, erst 50 Jahre später wieder an die Oberfläche gekommen. In der Zeit der Sowjetunion war Zwangsarbeit in Deutschland kein Thema. Schlimmer: Wer sich zu laut und zu positiv erinnerte, wurde vom Staat misstrauisch beäugt, bekam schlechte Jobs oder landete sogar im Arbeitslager. Den Mächtigen waren die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen suspekt. Keine Rede davon, dass sie mit Gewalt zur Arbeit nach Deutschland geführt wurden. Stattdessen wurden sie als Kollaborateure beschimpft.
»Um so älter, desto mehr erzählt man«, fasst Tanja Schuh zusammen. »Die Menschen bemühten sich sehr, nichts bei ihren Erzählungen auszulassen«. Die Bielefelder Studentin spricht ukrainisch und sorgte während der Reise für direkte Kommunikation mit den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen. Sie hat unheimlich viel mitgenommen von den Kontakten. Es freut sie, Menschen das Gefühl geben zu können: da gibt es noch wenn, der sich für Dich interessiert. Dabei kam sie desöfteren an ihre Grenzen: »Für mich war es manchmal schwierig. Da äußerten sich so viele Gefühle. Manchmal konnte ich auch meine Tränen nicht mehr zurückhalten«.
»Nahezu alle ehemaligen Zwangsarbeiter haben den Wunsch, Bielefeld noch einmal zu besuchen«, schildert Schuh ihren Eindruck. »Sie können sich noch so gut an viele Orte in der Stadt erinnern, sie möchten sie gerne wiedersehen«. Thamm bestätigt: »Meine persönliche Meinung ist, dass in Bielefeld mehr passieren könnte, mehr als nur ein Gedenkstein auf dem Johannesberg«. Die Idee, ehemalige Zwangsarbeiterinnen nach Bielefeld einzuladen, ist vor allem eine Kostenfrage. Und noch hat sich die Stadt, im Gegensatz zu umliegenden Städten wie Paderborn, nicht dazu durchringen können, diese Menschen einzuladen.
Durch die Briefe und die Reise bekommen diejenigen, die in Bielefeld unter Zwang einen Teil ihrer Jugend verbrachen, aber ein immer deutlicheres Gesicht. Die Kamera war mit in der Ukraine. Mit dreien der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen führte das Team intensive Gespräche und filmte. Material, das geschnitten auf eine halbe Stunde wohl im Februar im WDR-Fernsehen zu sehen sein wird. Ein wichtiges Dokument, das zukünftig auch in Bielefelder Schulen zum Einsatz kommen könnte, wie Michael Thamm vorschlägt. Denn das Filmmaterial wird Eigentum der Bielefelder Sektion »Gegen Vergessen - Für Demokratie« und steht damit für einen lebendigen Geschichtsunterricht zur Verfügung.
Der voraussichtliche Sendeplatz der Dokumentation ist Sonntag, 8. Februar, im Fernsehprogramm des WDR. Der Verein plant darüber hinaus eine öffentliche Aufführung in Bielefeld. Nähere Informationen gibt der WebWecker noch bekannt. Mehr Informationen zum Verein »Gegen Vergessen - Für Demokratie« finden Sie im WebWecker in der Rubrik »Gruppen vor Ort«. Kontakt zum Verein: Meret Wohlrab, Telefon: 0521-5212709 Anna Bondartschuk 1949