Webwecker Bielefeld: Leergut

»Das mit dem Orkan, das interessiert mich!«



»Leergut«

Von Harald Manninga

Eigentlich steht der Lehrer Josef »Beppo« Weberknecht mit seinen 65 Jahren wohl sowieso kurz vor der Rente. Nachdem er aber zum vierten Mal in kürzester Zeit ausrastend einem renitenten Schüler einen nassen Tafelschwamm über dem Kopf ausgedrückt hat, weil er mit »der Jugend von heute« nicht mehr klarkommt, sieht er ein, dass das Lehrersein nichts mehr für ihn ist. Er geht vorzeitig in den Ruhestand.

Als »Pappa ante portas« (so billig dieser Vergleich mit Loriot ist, er drängt sich eben einfach auf, sei damit aber auch abgehakt) fühlt er sich jedoch ebenfalls nicht wohl und sucht sich einen neuen Job. Ein Versuch als Fahrradkurier überfordert ihn etwas. Schließlich landet er in der Leergutannahme eines Supermarkts.

Der ehemalige Herr Lehrer findet hier eine komplett neue Welt vor – und fühlt sich plötzlich wieder wohl und nützlich, im Kontakt mit den ganz normalen (oder?) Menschen, die in diesem Laden einkaufen. So ganz kann er seiner Pädagogennatur aber nicht abschwören und mischt sich also fortan in das Leben der Leute ein, mit denen er es neuerdings zu tun hat. Gibt ihnen z.B. allerlei Ratschläge für ihr Liebesleben. Dabei träumt er selbst im Schlaf von Fetisch-Sex mit uniformierten Zugschaffnerinnen.

Je erfüllter und abenteuerlicher sein neues Leben wird, desto vernachlässigter und ungeliebter kommt sich jetzt allerdings seine Ehefrau Eliška vor, ihrerseits Französischlehrerin, die aber »nur« Privatunterricht gibt und das Haus auch sonst kaum verlässt, weil ja irgendwer auch mal bügeln, kochen und den Enkel hüten muss.

Dieser neue Film von Oscar-Preisträger (1997 »Best Foreign Language Film« für Kolya) Jan Svĕrák gilt als der erfolgreichste tschechische Film aller Zeiten. Glatt ein Zehntel der tschechischen Bevölkerung hat er in die Kinos gelockt. Das muss selbst ein Tom Tykwer oder ein Florian von Donnersmarck erstmal noch hinkriegen, 10 Prozent seiner eigenen Landsleute ins Kino zu ziehen! Oder haben doch schon 8 von 80 Millionen möglichen deutschen Filmesehern Das Parfüm oder Das Leben der anderen wirklich im Kino angeschaut? Wird man bezweifeln dürfen. Aber seis drum: Preisgekrönt ist Leergut außerdem, auf den Festivals in Cottbus (ja, da gibts auch eins), Karlsbad und Hamburg... Und alles mit Recht, dem Film wünscht man mit Freude noch mehr Erfolg, vor allem beim Publikum.

Er ist aber auch zu komisch!

Dabei »tiefgründig« und »liebevoll« und blablabla, wie ein Film übers Altern und das sonstwie Allzumenschliche eben sein muss. Die diesbezüglichen Floskelerfordernisse erfüllt er jedenfalls alle, aber damit begnügt er sich bei weitem nicht. Ist darüber hinaus nämlich z.B. auch noch grandios gespielt, vor allem von Zdenĕk Svĕrák als »Beppo«. Zdenĕk ist der Vater des Regisseurs Jan Svĕrák und in der Tschechischen Republik höchstberühmter Schauspieler und Drehbuchautor, der sich hier wohl (denn das Buch stammt aus seiner Feder, wie auch schon das für o.g. Erfolgsfilm Kolya) eine Rolle selbst auf den Leib geschrieben hat. Und wie aber auch, liebe Güte! Da ist Wucht, Erfahrung und Weisheit drin. Vom feinsten.

Und weiter inhaltlich? Muss man allein schon die Szene miterlebt haben, die erklärt, warum es gut ist und sich als geradezu lebenswichtig herausstellt, dass Beppos Frau (ebenso großartig wie »Beppo« Zdenĕk Svĕrák: Daniela Kolářová in der Rolle der »Eliška«) heimlich raucht. Diese Szene kommt ganz am Ende, aber das Warten darauf lohnt sich. – Ach was: lohnt sich! »Darf man nicht verpassen« trifft es eher!

Leergut (CZ 2007, 103 Min.) von Jan Svĕrák läuft in Bielefeld im Lichtwerk.