Von Manfred Horn
»Das
ist das Bedeutendste, was dieser Fachbereich bisher hervorgebracht hat«. Martin
Deppner, Dekan des Fachbereichs Gestaltung der Fachhochschule, wagt den
Superlativ. Und meint damit das Buch und die Ausstellung »Jüdisches
Fotografische Betrachtungen der Gegenwart in Deutschland«. Seit drei Jahren
beschäftigt sich eine Gruppe Studierender und ihr Dozent Roman Bezjak,
Professor für Fotografie an der FH, mit dem Thema. Die Arbeiten von zwölf
Studierenden sind nun in einem Buch versammelt, dass kürzlich im Nicolai-Verlag
erschien.
Ab
dem 2. November sind die Arbeiten auch im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen.
Damit springt der Fachbereich auf die internationale Bühne, die Ausstellungen
des Jüdischen Museums werden weltweit rezipiert. Entsprechend begeistert ist
Martin Deppner: »Das die größte Bühne, die wir bisher betreten haben«.
Trotz
der angehäuften Bedeutungsmasse bleiben die Studierenden nüchtern. Sie haben
ihre Arbeit gemacht, und das durchaus gut. Sie haben nicht versucht, etwas in
Bilder zu bannen. Der tonnenschwere Tonister der Geschichte, zumindest
zeitweise konnte er abgelegt werden ohne ihn zu vergessen. Dazu trug sicher
auch bei, dass die Studierenden sich ihre Themen unter der Gesamtüberschrift
selbst suchen konnten. Die Reisen zu den Menschen, im Ergebnis ist ein
heterogener Plural an Perspektiven herausgekommen.
Die
Foto-Arbeiten von zwölf Studierenden sind nun in einem Buch versammelt. Sie
pendeln zwischen dem Besondern der jüdischen Kultur und einer Normalität, die
glaubensübergreifend ist, hin und her. Und zeigen damit die Komplexität von
etwas, dass sich Leben nennt. Das Spiel mit der Differenz hebt sich dabei
wohltuend von Betrachtungen ab, die einengen und fixieren. Den Kultur,
letztlich manifestiert sich auch der jüdische Glauben in einer kulturellen
Praxis, ist nichts anderes als die permanente Konstruktion von Sinn. Eine an
sich seiende Wirklichkeit ist nicht vorhanden, ein Grundsatz, der bei
Betrachtungen von Muslimen gerne unter einem Kopftuch ausgeblendet wird.
Was ist schon normal?
Das
Titelfoto des Bildbandes zeigt zwei Jungens, offenbar nach dem Fußballspielen.
Nichts deutet darauf hin, dass es sich um zwei jüdische Kicker aus Frankfurt
handelt. Vermutlich spielt es für die beiden in dem Moment, wo sie auf dem
Platz stehen, auch gar keine Rolle. Zeigt das Bild Normalität? Einerseits
bewegt sich das Bild innerhalb der Norm, insoweit es abbildet, was einem
konstruriertem Durchschnitt an breit akzeptierten Handlungen konform ist.
Nichts Besonderes eben. Andererseits zeigt es das Besondere, das darin liegt,
dass eine solche Normalität überhaupt existiert. »Hier regiert die NPD, nicht
der DFB«, beschimpften kürzlich Zuschauer bei einem Spiel der Berliner
Fußball-Kreisliga die Spieler eines jüdischen Vereins. Die Kicker des TuS Makkabi
Berlin, keineswegs nur Menschen jüdischen Glaubens, verließen nach dieser und
weiteren Schmähungen etwa »Synagogen müssen brennen« oder »Vergast die Juden« in der 78. Minute den
Platz. Es wirkt wie eine Analogie zur Geschichte der Judenverfolgung, dass der
Schiedsrichter später vor dem Sportgericht behauptete, nichts gehört zu haben.
Stefan
Sasek zeigt in seiner Arbeit einen Einblick in einen relativ festen, zumindest
aber festiven, kulturellen Raum: Eine orthodoxe jüdische Hochzeit. Olga und Schlomo
heiraten im Juli 2005, und Sasek ist für einen Tag mit dabei. »Olga wollte
eigentlich Hochzeitsfotos haben«. Die bekam sie auch, und Sasek Bilder für
seine Arbeit. Die Hochzeitsfotos hätte sie wohl auch so bekommen: Denn ein Bild
zeigt eine bemühte Gruppe junger Hochzeitsgäste Männer die mit ihren
kleinen Digitalkameras drauf halten. Ihr gespannter Gesichtsausdruck verrät
aber, dass sie von Fotografieren nicht allzuviel verstehen, und insofern Stefan
Sasek wohl eine gute Wahl war.
Bilder sprechen anders
Worte
sind schwierig. Sie schwimmen zwar im Diskurs, und sind damit einem
Bedeutungsfluss unterworfen. Doch die Macht wirft immer wieder Anker, die aus
Worten in den Köpfen feste Bilder machen lassen. Die normative Macht, die zur
Konstruktion einer Essenz drängt, verbunden mit den wirkungsvollen Ein- und
Ausschlüssen des »Othering«, rekurriert auf Differenzierungsschema, das binär
gepägt ist. Diese scheinbare Beziehungslosigkeit der Begriffe wer Jude ist,
ist nicht deutsch, wer schwarz ist, ist nicht weiß können in einer
Wirklichkeit, die gerne verschwiegen wird, aber nicht ohne den Anderen
existieren der Begriff Ausländer hat keine Bedeutung ohne das Wort des
Einheimischen. Die visuelle Sprache hingegen macht es leichter, Differenzen zu
sehen und sich von binären Oppostionen zu lösen. Bilder sind ein Feld, das
mulitiple Deutungen und Beziehungen zulässt und eine heterogene Differenz
ermöglicht, die eben nicht auf dem üblichen 0 und 1 Schema basiert. Daniel
Müller fotografierte die Familie Listunov. Deutsch oder Jüdisch? Deutsch und
Jüdisch? Die Bilder geben glücklicheweise darauf keine Antwort, weil sie nicht
mit Stereotypen arbeiten.
Professor
Roman Bezjak animierte seine Studierenden, das säkuläre Judentum mit
einzubeziehen. Es gibt eben auch Juden von der Sorte, wie es Christen gibt. Die
Menschen, die offiziell zu einer Glaubensgemeinschaft gehören, sich um die
Regeln aber einen feuchten Kericht scheren. Wobei es im Vergleich schwieriger
ist, ein nicht-gläubiger Jude denn ein nicht-gläubiger Christ zu sein, einfach
weil die Fremdzuschreibungen sowohl als Opfer des Antisemistismus wie auch
dessen Hasssubjekt so mächtig sind und im Sinne des Satzes »unter die Haut
gehen«. Martin Deppner geht sogar noch einen Schritt weiter. Wer einmal Jude
ist, sei dies für immer. Was ihm Hannah Arendt bestätigen könnte. Zu ihrem 30.
Todestag flimmerte noch einmal ein Interview aus den 1960ern über den
Bildschirm und auch Arendt, die mit jüdischer Praxis nichts am Hut hatte,
sagte sinngemäß das gleiche. Judentum, dies mache sich nicht nur religiös,
sondern auch ethnisch und kulturell fest, stellt Deppner heraus.
Und
baut damit auch die Brücke zu einem Zukunftsprojekt der FH: »Jüdische Diaspora
als Topografie der Moderne«. 2008 soll anläßlich des zehnjährigen Bestehens des
Felix-Nussbaum-Hauses in Osnabrück eine Ausstelung nebst Katalog realisiert
werden. Das Projekt wird in Kooperation zwischen dem Felix-Nussbaum-Haus, dem
Jüdischen Museum Amsterdam und dem Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule
durchgeführt. Da soll es auch um jene Impulse gehen, die als »produktive
Anregungen in sämtlichen Bereichen der Wissenschaft und Kultur sich dem Leben
und Denken in jüdischer Tradition verdanken«. Anders gesagt: In Deutschland gab
es viele berühmte und wichtige jüdische Wissenschaftler. Warum es gerade, wie
Deppner formuliert »jüdische Geister« waren, die die Wissenschaft zumindest bis
1933 prägten, wird ein Thema des Projektes sein. Ein spannender und streitbarer
Gegenstand, der davon abzugrenzen wäre, Juden im Allgemeinen zu besonderen Menschen erklären. Höhe und
Tiefe liegen, das hat die Geschichte gelehrt, eng zusammen. Deswegen ist zu
hoffen, dass das Projekt auch eine kritische Folie zum Philosemitismus anlegt.
Die
Ausstellung ist ab dem 2. November im Jüdischen Museum, Berlin zu sehen.
Ausgestellt werden Bilder der Bielefelder Studierenden und Studierender der
Hochschule Konstanz, Fachbereich Kommunikationsdesign. Das Museum ist täglich
geöffnet von: 10-20 Uhr, montags 10-22 Uhr. Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
info:
(0)30 259 93 300. Mehr Informationen: www.juedisches-museum-berlin.de
Das
Buch »Jüdisches Fotografische Betrachtungen der Gegenwart in Deutschland« ist
soeben im Nicolai-Verlag erschienen: ISBN 13: 978-3-89479-350-0, 24,90 Euro