Gleich bei seiner ersten Sportwette im Jahr 2000 gewann der
17-jährige Jan P.* mehr als das Zehnfache seines Einsatzes: Aus 20 Mark machte er
250. Doch das Glück verließ ihn schnell. Noch im selben Jahr hatte er bereits
12.000 Mark Schulden. Nach wenigen Monaten spielte Jan P. täglich, er brach
zwei Ausbildungen ab, verlor den Bezug zum Geld und zur Realität, verstrickte
sich in illegale Geschäfte. Und landete als 21-Jähriger schließlich bei Frank
Gauls in der Fachstelle Glücksspielsucht des Ev. Gemeindedienstes im
Evangelischen Johanneswerk.
Jan P. ist kein Einzelfall im Gegenteil. Zwölf Prozent
aller Glücksspielsüchtigen verzocken ihr Geld bei Sportwetten. Und: Vor allem
Jugendliche lassen sich gerne darauf ein. Der Altersdurchschnitt der Klienten
ist deshalb in den vergangenen zwei Jahren um zehn Jahre gesunken. Der
Schwerpunkt liegt heute bei den 20 bis 30-Jährigen. Die Nachfrage nach Beratung
wächst mit der Zunahme von Spielmöglichkeiten. »Das konnten wir einfach nicht
mehr bewältigen«, sagt Frank Gauls. Die Fachstelle Glücksspielsucht wurde
deshalb um eine halbe Stelle verstärkt und damit auf eineinhalb Stellen
erweitert. »Das bedeutet vor allem kürzere Wartezeiten für Beratungstermine«,
weiß der Diplom-Sozialarbeiter. »Für Suchtkranke ist das wichtig, denn sie
verlieren ihre Motivation zur Behandlung genauso schnell wie ihr Geld.«
Geld verlieren die Betroffenen nicht nur schnell, sondern in
rauen Mengen. Die Schuldenhöhe der Klienten reicht in Einzelfällen bis zu einer
Million Euro. Besonders gefährlich ist das für Menschen, die in ihrem Beruf
Zugang zu Geld haben. »Wir hatten schon einen Autohändler, der beim Verkauf
eines Wagens 40.000 Euro unterschlagen hat. Glücksspielsucht ist die teuerste
aller Süchte«, erzählt Gauls
Sportwetten boomen
weiter
Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2006
festgestellt, dass das staatliche Monopol für die Durchführung von Sportwetten
nur dann gerechtfertigt ist, wenn es der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht
dient. Diese Auflage sah das Mindener Verwaltungsgericht nicht erfüllt, weil
Sportwetten auch vom staatlichen Anbieter »Oddset« immer noch als lukrative
Freizeitbeschäftigung dargestellt werden. Es entschied, anders als andere
Gerichte, dass private Wettbüros in seinem Zuständigkeitsbereich vorerst nicht
geschlossen werden dürfen. Auch nicht in Bielefeld. In dieser Grauzone
existieren derzeit alleine in Bielefeld rund 40 Sportwettbüros. »Dieses große
Angebot hat Folgen«, weiß Gauls. »Mit dem Glücksspielangebot wächst auch die
Anzahl der süchtigen Spieler.« Auch zweifelt er daran, dass der Schutzgedanke
wirklich konsequent umgesetzt werden soll. Kein Wunder: 4,5 Milliarden Euro
verdiene der Staat jährlich an offiziell abgeführten Steuern für Glücksspiel,
erklärt er. »Das bedeutet eine Milliarde Euro mehr als durch Steuern auf Alkohol.«
Die Folgen die Mitarbeiter der Beratungsstelle deutlich zu
spüren. Etwa 150 Klienten betreut die Fachstelle Glücksspielsucht pro Jahr
nicht nur die Süchtigen, sondern auch deren Angehörige. Betroffene können hier
Erstaufklärung, Beratung und Therapie in Anspruch nehmen. Wer sich für eine Behandlung
entscheidet, kann sich in ambulante Rehabilitation begeben eine
Behandlungsform, in der der Gemeindedienst in Deutschland zu den Vorreitern
gehört. Hier wird die Hintergrundproblematik beleuchtet, Handlungsalternativen
werden erarbeitet, man kümmert sich um die Schulden und die Einstellung zum
Geld. »Ziel ist eine stabile Grundlage für ein suchtmittelfreies Leben«, sagt
Gauls.
Spielsucht lässt sich dabei zwar schlechter behandeln als
Alkoholismus, aber besser als Sucht nach illegalen Drogen. Etwa ein Drittel der
Behandelten hört mit dem Spielen auf und erleidet keinen Rückfall, so schätzt
Gauls es aus seinem Erfahrungsschatz. »Es lohnt sich.«
* Name geändert. Kontakt: Fachstelle Glücksspielsucht, Schildescher Str.101, Tel.: 0521 801-2714