Von Manfred Horn
Rund dreihundert
Demonstranten kesselte die Polizei am 25. April 1998 auf der Siegfriedstraße
ein. Mehr als die Hälfte der zumeist jungen Leute wurden verhaftet. Die Demo
mit dem Motto Reclaim the street war mehr eine rollende Party mit politischem
Inhalt initiiert vom »Anti A-33-Hüttendorf«. Das feierte an diesem Tag sein
fünfjähriges Bestehen.
Das Hüttendorf bei
Dissen ist längst geräumt, die A33 weitergebaut. Und doch geht die damalige
Auseinandersetzung vor der Bürgerwache als »Bielefelder Kessel« in die
Stadtgeschichte ein. Denn über acht Jahre später ist die juristische
Auseinandersetzung noch nicht zu Ende.
Festgenommene
warfen der Polizei anschließend vor, sie seien unwürdig behandelt worden. So
hätten einige 15 Stunden lang kein Trinkwasser erhalten andere hätten
Wasser aus Hundenäpfen bekommen. Das Recht, vom Gefängnis aus Personen des
Vertrauens zu benachrichtigen, sei nahezu allen verweigert worden.. Diese Beschwerden wurden vom Amtsgericht
Bielefeld Anfang Juni 2006 verworfen. In einem Punkt gab das Gericht den
Klagenden allerdings Recht: Ein Festhalten über acht Uhr des Folgetages hinaus
sei rechtswidrig gewesen. Denn der vom Polizeieinsatzleiter am Kessel-Abend
angerufene Richter ordnete an, die Inhaftierten bis spätestens 8 Uhr des
Folgetages zu entlassen.
Die Polizei hatte
in den zahlreichen Verfahren zu dem Kessel immer behauptet, diese Frist
eingehalten zu haben. Vor dem Amtsgericht Bielefeld, bei dem das Verfahren
schließlich landete, stand so Aussage gegen Aussage. Viele der Betroffenen
gaben nämlich an, deutlich nach 8 Uhr entlassen worden zu sein. Die Polizei
weigerte sich, Unterlagen herauszugeben.
Die Liste spricht
gegen die Polizei
Die Polzei legte
schriftlich Widerspruch gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein und lieferte
eine Liste, aus der hervorgeht, wann sie die eingebuchteten Demonstranten
entlassen hat. »Es ist ein Skandal, dass die Liste erst jetzt auftaucht«, sagt
Sebastian Nickel, Anwalt der Betroffenen. Dass die Polizei die Liste jetzt als
Beweisstück an das Landgericht geschickt hat, welches sich nun mit dem
Widerspruch der Polizei beschäftigt, verwundert. Schließlich geht aus dem
Dokument hervor, dass 91 der 174 Verhafteten erst nach 8 Uhr entlassen wurden.
Damit widerlegt die Polizei selbst ihre vorherigen Behauptungen, urteilt
Nickel.
Aus der Liste geht hervor, dass der letzte Inhaftierte um
10.45 Uhr entlassen worden ist. Doch selbst dieser Zeitpunkt deckt sich nicht
mit der Erinnerung derjenigen, die damals festgesetzt wurden: Viele von ihnen
wurden vom Polizeigefängnis an der Stapenhorststraße aus in Gefängnisse im
Umland verlegt, weil der Platz in den Bielefelder Zellen gar nicht ausreichte.
So sind wahrscheinlich zahlreiche der Uhrzeiten, die auf der Liste als
Entlassungszeitpunkt angegeben sind, in Wirklichkeit Verlegungszeitpunkte. Die
Entlassungen aus den Gefängnissen in Herford, Minden oder Lemgo wäre dann erst am
späten Mittag erfolgt. Die dortigen Polizeibehörden haben dazu aber bisher
keine Listen vorgelegt.
Die Polizei
betreibt nun die Fortsetzung des Verfahrens. Dies geschehe aus »grundsätzlichen
Erwägungen und aus einer Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten«, erklärt die
Polizei. Man befürchte auch, dass Polizeibeamte in Folge des Verfahrens nun mit
Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung überzogen werden könnten. »Eine
merkwürdige Begründung: Nach meiner Kenntnis ist das schon verjährt«, wundert
sich Anwalt Nickel.
Praktische Folgen
hat ein weiterer Richterspruch nicht. Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem
nur um Feststellungen gerungen wird. Bestätigte das Landgericht den Beschluss
des Amtsgerichts, würden die damals Inhaftierten aber immerhin in einem Punkt
Recht bekommen. Dies wäre für sie eine kleine Genugtuung nach acht Jahren
Prozessmarathon. Und die Polizei müsste sich den Vorwurf gefallen lassen,
damals rechtswidrig gehandelt zu haben.
Der Artikel entstand in Kooperation mit der Stadtteilzeitung Viertel der Bürgerwache. Die nächste Ausgabe der Viertel erscheint Ende September und liegt in der Bürgerwache und einigen Geschäften im Bielefelder Westen aus