Webwecker Bielefeld: Noch Dampf unterm Kessel (13.09.2006)

Noch Dampf unterm Kessel (13.09.2006)




Von Manfred Horn

Rund dreihundert Demonstranten kesselte die Polizei am 25. April 1998 auf der Siegfriedstraße ein. Mehr als die Hälfte der zumeist jungen Leute wurden verhaftet. Die Demo mit dem Motto ›Reclaim the street‹ war mehr eine rollende Party mit politischem Inhalt – initiiert vom »Anti A-33-Hüttendorf«. Das feierte an diesem Tag sein fünfjähriges Bestehen.

Das Hüttendorf bei Dissen ist längst geräumt, die A33 weitergebaut. Und doch geht die damalige Auseinandersetzung vor der Bürgerwache als »Bielefelder Kessel« in die Stadtgeschichte ein. Denn über acht Jahre später ist die juristische Auseinandersetzung noch nicht zu Ende.

Festgenommene warfen der Polizei anschließend vor, sie seien unwürdig behandelt worden. So hätten einige 15 Stunden lang kein Trinkwasser erhalten andere hätten Wasser aus Hundenäpfen bekommen. Das Recht, vom Gefängnis aus Personen des Vertrauens zu benachrichtigen, sei nahezu allen verweigert worden.. Diese Beschwerden wurden vom Amtsgericht Bielefeld Anfang Juni 2006 verworfen. In einem Punkt gab das Gericht den Klagenden allerdings Recht: Ein Festhalten über acht Uhr des Folgetages hinaus sei rechtswidrig gewesen. Denn der vom Polizeieinsatzleiter am Kessel-Abend angerufene Richter ordnete an, die Inhaftierten bis spätestens 8 Uhr des Folgetages zu entlassen.

Die Polizei hatte in den zahlreichen Verfahren zu dem Kessel immer behauptet, diese Frist eingehalten zu haben. Vor dem Amtsgericht Bielefeld, bei dem das Verfahren schließlich landete, stand so Aussage gegen Aussage. Viele der Betroffenen gaben nämlich an, deutlich nach 8 Uhr entlassen worden zu sein. Die Polizei weigerte sich, Unterlagen herauszugeben.

 

Die Liste spricht gegen die Polizei

Die Polzei legte schriftlich Widerspruch gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein und lieferte eine Liste, aus der hervorgeht, wann sie die eingebuchteten Demonstranten entlassen hat. »Es ist ein Skandal, dass die Liste erst jetzt auftaucht«, sagt Sebastian Nickel, Anwalt der Betroffenen. Dass die Polizei die Liste jetzt als Beweisstück an das Landgericht geschickt hat, welches sich nun mit dem Widerspruch der Polizei beschäftigt, verwundert. Schließlich geht aus dem Dokument hervor, dass 91 der 174 Verhafteten erst nach 8 Uhr entlassen wurden. Damit widerlegt die Polizei selbst ihre vorherigen Behauptungen, urteilt Nickel.

Aus der Liste geht hervor, dass der letzte Inhaftierte um 10.45 Uhr entlassen worden ist. Doch selbst dieser Zeitpunkt deckt sich nicht mit der Erinnerung derjenigen, die damals festgesetzt wurden: Viele von ihnen wurden vom Polizeigefängnis an der Stapenhorststraße aus in Gefängnisse im Umland verlegt, weil der Platz in den Bielefelder Zellen gar nicht ausreichte. So sind wahrscheinlich zahlreiche der Uhrzeiten, die auf der Liste als Entlassungszeitpunkt angegeben sind, in Wirklichkeit Verlegungszeitpunkte. Die Entlassungen aus den Gefängnissen in Herford, Minden oder Lemgo wäre dann erst am späten Mittag erfolgt. Die dortigen Polizeibehörden haben dazu aber bisher keine Listen vorgelegt.

Die Polizei betreibt nun die Fortsetzung des Verfahrens. Dies geschehe aus »grundsätzlichen Erwägungen und aus einer Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten«, erklärt die Polizei. Man befürchte auch, dass Polizeibeamte in Folge des Verfahrens nun mit Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung überzogen werden könnten. »Eine merkwürdige Begründung: Nach meiner Kenntnis ist das schon verjährt«, wundert sich Anwalt Nickel.

Praktische Folgen hat ein weiterer Richterspruch nicht. Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem nur um Feststellungen gerungen wird. Bestätigte das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts, würden die damals Inhaftierten aber immerhin in einem Punkt Recht bekommen. Dies wäre für sie eine kleine Genugtuung nach acht Jahren Prozessmarathon. Und die Polizei müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, damals rechtswidrig gehandelt zu haben.


Der Artikel entstand in Kooperation mit der Stadtteilzeitung ›Viertel‹ der Bürgerwache. Die nächste Ausgabe der ›Viertel‹ erscheint Ende September und liegt in der Bürgerwache und einigen Geschäften im Bielefelder Westen aus