In Bramsche bei Osnabrück startete am Wochenende die Anti-Lager-Action-Tour. Etwa 500 Demonstranten protestierten gegen die dortige »Landesaufnahmestelle« für Asylbewerber.Von Mario A. SarclettiBramsche bei Osnabrück ist eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Verlässt man den kleinen Ortsteil Hesepe Richtung Emsland, kommt erst der Sportplatz, dann das Ortsschild, dann lange nichts. Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch weist ein Schild den Weg über eine lange Zufahrt zur »Landesaufnahmestelle«. Die Einrichtung in der niedersächsischen Provinz nennen Flüchtlingsinitiativen einen »Nicht-Ort«, einen Ort »des Draußen für die, draußen bleiben sollen auch im Inneren des Landes«, wie es im Aufruf zur »Anti-Lager-Action-Tour« heißt.
Neben Bramsche, wo ein Camp und eine Demonstration den Auftakt der Tour markierten, werden antirassistische Initiativen bis 5. September weitere Nicht-Orte, nämlich Ausreisezentren und Abschiebegefängnisse, von Neuss bis Eisenhüttenstadt besuchen. Dort wollen sie gegen Ausgrenzung, Abschiebung und die Residenzpflicht von Flüchtlingen, die denen das Verlassen des Landkreises ohne Genehmigung untersagt, protestieren.
Der »Nicht-Ort« bei dem Örtchen Bramsche-Hesepe ist eine ehemalige Kaserne, seit dem Jahr 2000 dient sie als Lager für Asylbewerber, denen die Behörden aufgrund ihrer Herkunft nur geringe Chancen auf eine positive Entscheidung über ihren Asylantrag prognostizieren. Sie kommen aus nach Ansicht der Verantwortlichen Ländern, in denen keine staatliche Verfolgung herrscht, wie etwa Irak oder Afghanistan. Mehr als fünfhundert Menschen können auf dem Gelände untergebracht werden, seit in diesem Jahr die Zahl der Plätze in Hesepe aufgestockt wurde. »Hier steht eines der größten Abschiebelager Europas, Bramsche gelangt damit zu trauriger Berühmtheit«, ruft ein Sprecher den Hesepern zu und fordert sie auf, sich für die Schließung der »Landesaufnahmestelle« einzusetzen.
Die sehen aber nicht so aus, als ob ihnen der Sinn nach Widerstand steht. Aus sicherer Entfernung betrachten sie argwöhnisch etwa 500 Menschen, wie sie sie in ihrem kleinen Gemeinwesen wohl noch nicht gesehen haben. Punks, Autonome und Angehörige antirassistischer Initiativen sind es, die sich mittags vor dem winzigen Bahnhof von Hesepe versammeln, kritisch beäugt von Einsatzkräften der Polizei, die die friedliche Demonstration auf Video dokumentieren. »Prophylaktisch«, wie ein Beamter sagt. Unter den Demonstranten sind auch viele Flüchtlinge, auch welche aus anderen Bundesländern. Sie wirken kämpferisch, wollen sich nicht in ihr Schicksal fügen. In einem Wechselgesang thematisieren sie ihre Lebenslage, aus dem afrikanischen Englisch sind Worte wie »Polizei«, »Duldung«, »Ausweis« oder »Gutschein« herauszuhören.
Einige der Flüchtlinge im Demonstrationszug wohnen in der ehemaligen Kaserne am Ortsrand. Einer von ihnen ist Sergej (Name geändert) aus dem Kaukasus. Vor elf Monaten kam er nach Deutschland, eher zufällig, wie er sagt, seit einem halben Jahr ist er in Hesepe einquartiert. »Ein Mensch kann da nicht leben, das ist wie im Gefängnis«, klagt der ehemalige Buchhalter, der seit seinem Asylantrag bei der Einreise nichts mehr von den zuständigen Behörden gehört hat.
Er kritisiert die schlechte medizinische Versorgung, die in den vergangenen Wochen einer der Auslöser für drei Protestaktionen der Bewohner waren. Für die fünfhundert Menschen gibt es nur eine Sanitätsstation mit einer Krankenschwester, zwei Mal in der Woche kommt ein Allgemeinmediziner. Die Bewohner beklagen, dass bei Erkrankungen meist nur das Schmerzmittel Paracetamol verabreicht wird. »Eine Frau bekam das wegen Schmerzen in der Lunge, nach zwei Monaten haben sie im Krankenhaus dann Tuberkulose festgestellt«, erzählt Sergej.
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